Sonntag 12. Juli 2008 (ergänzt)

Teil 10 - Jetzt wacht Australien langsam auf

Zum Frühstück Tischmusik. Pfarrer Dominik hat sich gestern in der Stadt eine neue Gitarre gekauft und die probiert er jetzt aus. "Hör mal den Bass", schwärmt er. Die beige Übergangsjacke bis unters Kinn geschlossen studiert Father Brendan die frische Morgenzeitung. Ich versuche etwas Smalltalk. "Did your football Team win yersterday"?

 (DR)

Damit ich einen unkomplizierten Zugriff auf das Internet im Pfarrhaus habe, hat er mir den Namen seines Computerpasswortes verraten. Ein Footballteam in Australien heißt so. Daher weiß ich, dass Father Brendan Football Fan ist. "No", grummelt er und schweigt. Ich kann ihn verstehen, denn ich habe sonntags auch immer schlechte Laune, wenn Werder Bremen verloren hat. Nach wenigen Minuten kommt seine Retourkutsche: "You slept well last night"? fragt er: "It could be your last nigth sleeping well." Er weiß, dass wir heute aus dem Pfarrhaus umziehen, über Nacht zwölf Stunden mit dem Bus nach Sydney fahren, um dort wieder in einer Turnhalle am Stadtrand Quartier zu beziehen. "Hauptsache die Duschen sind nicht kalt", hofft Pfarrer Dominik. "Aber wenn alle gleich stinken, macht das nichts", kommentiert Father Brendan.

Fünf Sonderseiten über den Papstbesuch in der Zeitung. Jetzt wacht Australien langsam auf. Ich studiere die Kommentare: "Back to the future for christians", heißt es da. Nie habe Religiosität in Australien ein "golden age" erlebt: "We truly are a weird mob." Die allererste Kirche des Landes sei einfach niedergebrannt worden, weil die Einwanderer einen Pub an der Stelle, wo die Kirche stand, bevorzugt hätten. Dann folgt eine strenge Situationsanalyse. Resumee: Die Kirchen fallen beim Relevanztest für die Allgemeinheit in Australien durch. Immer gehe es nur um Streitereien wegen schwuler Priester oder Frauen als Bischöfe … Das interessiere niemanden mehr. Aber dann wirft der Autor einen  Blick in die Zukunft einer womöglich neuen Kirche. Der typische Christ sollte keine weiße fette Katze in der westlichen Welt sein, sondern seine Impulse von den "Underdogs", den Schwachen beziehen. Christentum könne so ganz neu gesehen werden - so wie es vor 2000 Jahren begann. "We are witnessing not the end of faith in Australia but the rebirth of a breathtaking revolutionary movement that can transform weakness into strength."   

Auf geht es nach Sydney. Fünf Grad wärmer soll es dort sein, weil Sydney im Noden von Melbourne liegt. Im Norden? Ich vergesse immer wieder, dass am anderen Ende der Welt auch die Sonne down under scheint und nicht im Westen aufgeht.

Marc schaufelt jede Menge Zwiebeln auf die vegetarischen Burger, die er verteilt. Kurz vor der Abfahrt nach Sydney gibt es noch ein Abschiedsbarbecue in Mill Park. Marc ist hier Lehrer an der katholischen Schule. "Das ist typisch für Australien. Jede Menge Zwiebeln auf die Burger", - "Wir machen hier Burgerverständigung", scherzt Daniel. "Eine heiße Tasse Tee wäre jetzt nicht schlecht." Denn es ist ganz schön kalt auf dem Schulhof. Besonders der frische Wind macht zu schaffen. Aber die Würstchen, Burger, Hähnchenspieße wärmen auf. Die Gastfamilien haben sich viel Mühe gegeben. Salat, Obst und auch Schokolade gibt es. Charlie steht hinter zwei großen Kübeln mit Eiswürfeln. Darin kühlt er die Limo. Bei dem Wetter wäre das nicht nötig gewesen. "It is quiet cold," gibt Marc zu. In einer Woche will er auch dabei sein, wenn der Papst auf freiem Feld die Abschlussmesse feiert. In der Nacht davor schlafen die Pilger draußen in der Pferderennbahn von Sydney - so ist es geplant. "The stars above us", macht sich Marc Mut, der bei dem Gedanken an die Kälte aber auch ein wenig den Mund verzieht.

In der einen Hand den Pappteller mit dem Grillgut, in der anderen die rote Rose, die heute Morgen alle in der Messe bekommen haben. Pfarrer Dominik hat in der Predigt die Geschichte vom Bettler und der Rose erzählt. Gastmutter Gabriela ist davon ganz begeistert. Die Rose will sie als Erinnerung unbedingt aufbewahren. Neben ihr steht Tobias, den sie beherbergt hat, ein charmanter junger Mann, sehr attraktiv. Am liebsten würde Gabriela ihn gar nicht mehr her geben, das sieht man ihr an. Eine überaus herzliche Umarmung, ich meine, eine Träne in ihrem Auge zu sehen. Die Rose wird sie auch an Tobias erinnern.

Zwölf Stunden Busfahrt liegen vor uns. Grace beneidet uns deswegen nicht. "Australien ist so groß", meint sie: "In Europa habt ihr es besser. Da liegt alles so dicht beieinander. Man kann überall in einem Tag sein."

Zwölf Stunden Busfahrt. Die Laune steigt nicht gerade, wenn man daran denkt. Am zentralen Busbahnhof in Melbourne herrscht großes Durcheinander. Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Man verteile 600 Pilger auf 12 Busse. Oje, welch ein Gedränge. Das Gepäck wird extra eingesammelt und in getrennten Transportern nach Sydney gekarrt. Manch einer schaut seinem Rucksack wehmütig hinterher. Was ist, wenn ich Isomatte und Schlafsack nicht fest genug angebunden habe. Nicht auszudenken, wenn da etwas verloren geht. Abfahrt 18 Uhr 15. Ich sitze im Bus D - von a bis k gehen die Busnamen. „Grün-roter Partybus, shalalalala, grün roter Partybus shalalala". Die Stimmung ist prächtig. Kurz vor dem Einsteigen hat mich noch ein neugieriger Geschäftsmann aus Melbourne gefragt: „What ist that for a sportsevent?" - „Wir fahren zum Papst nach Sydney", erkläre ich ihm. Nach dem Reisesegen für uns und den Busfahrer, ruft jemand aus der letzten Reihe: „Wo ist die Karnevals-CD?" - „Are you happy?" - „Yea" - Und dann: „"So sind mer all wieder hier, wie schnell ein Jahr doch vergeht …"

Es beginnt eine der seltsamsten Busfahrten, die ich je erlebt habe. Denn die australische Pilgerleitung hat sich etwas besonders einfallen lassen. Alle drei Stunden gibt es eine Station, Haltepunkte, 45 Minuten Pause mit Picknick, zunächst auf einer Pferdebahn, dann in einem Sportzentrum und schließlich in einer Schule an der Autobahn auf dem Weg nach Sydney. Immer wenn man sich gerade im Bus einigermaßen erträglich zu einer Schlafposition verknotet hat, heißt es, „Hallo, here we are - aussteigen!". Auf dieser Pilgerstrecke werden, so erfahre ich, die 35 000 Jugendlichen betreut, die in den kommenden drei Nächten mit Bussen von Melbourne nach Sydney fahren. Der erste Stopp leuchtet ja noch ein. In einer Halle einer Pferderennbahn gibt es ein kostenloses spätes Abendessen, Nudeln und Gehacktes mit viel Zwiebeln. Als wir aber um drei Uhr wieder geweckt  werden und in Eiseskälte aus den Bussen getrieben, werden die meisten schon mürrisch. Mir tun die armen Einheimischen leid, die hier mitten in der Pampa zur nächtlichen Pilgerbetreuung animiert wurden. Jemand hat sich auch noch ausgedacht, dass sie Fresspakete für zehn Dollar verkaufen sollen. Natürlich schlägt da niemand zu. Erstens ist es mitten in der kalten Nacht und zweitens sind wir noch vom Stopp zuvor pappsatt. Traurig stehen die australischen Frauen und Männer vor Bergen mit gepackten Mahlzeittüten.

Der Ort hier heißt Holbrook, früher einmal hatte er den Namen Germantown. Ein Herr Christof Papst hat das Dorf 1839 gegründet. Das ist lustig: auf dem Weg zum Papst in Papsttown ein nächtliches Picknick. Man muss das ganze mit Humor nehmen, schlage ich vor. In der australischen Zeitung lese ich im Bus, dass sich auch die Cousine des Papstes auf den Besuch ihres Verwandten freut. Sie heißt Erika Kopp. Ihr Vater Benno ist der Onkel von Papst Benedikt. Sie erzählt von ihrer Kindheit und den Besuchen bei Ratzingers in Bayern: „Immer wenn wir bei den Ratzingers waren, ging es besonders fromm zu. Die anderen Onkel und Tanten kamen nur selten, weil ihnen das etwas zu religiös war." Zu ihrem Cousin will sie in Sydney keinen Kontakt aufnehmen. „He is to busy here, and I don´t want to be pushy" meint Erika Kopp. Pushy heißt aufdringlich, sie möchte nicht zu aufdringlich sein.

Um sich die Zeit an den nächtlichen Haltepunkten zu vertreiben, spielen die Jungs Football. Einer hat sich so ein schiefes Ei gekauft und bolzt es mit anderen in die Höhe. Wie schnell die Jungs sich doch angepasst haben und vom Fußball zu Football umgestellt. Eine Gruppe Mädchen diskutiert mit den Priestern: „Warum reißen die Kerle in der Kirche immer alles an sich?" wollen sie wissen. Eine Frage, der ich auch schon in den vergangenen Tagen bei den Mädchen unter den Papstpilgern begegnet bin. Sie sehen nicht ein, dass die Kirche ihnen in so vielen Dingen den Weg versperrt: „That is not fair", sagt Tiffany aus Melbourne: „Frauen könnten das doch genauso gut wie Männer". Aber sie versuchen auch die Situation zu verstehen. Wer weiß, meint Elizabeth, wenn die Tradition da verändert würde, vielleicht würde sich dann der ganze Glauben verändern. Die Mädchen aus unserem Bus stören sich daran, dass die Dommessdiener oft so arrogant sind und sie wie zweite Klasse Menschen behandeln. Außerdem sehen sie nicht ein, warum eine Obermessdienerin, sobald sie ein Kind bekommen hat, nicht mehr Obermessdienerin sein darf. Alles Fragen, die sich nicht leicht beantworten lassen.  

Dritte Station, kurz vor Morgengrauen, zweihundert Kilometer vor Sydney. Immerhin konnten wir den Busfahrer überreden, dass die Tiefschläfer im Bus bleiben dürfen. Ich steige aus, bereue das aber sogleich, als mir die Eiseskälte Schauer über den Rücken fahren lässt. Die frierenden Kölner drängen sich um die wenigen Heizpilze - schlürfen müde ihren Tee oder Cafe. Noch gut zwei Stunden bis Sydney.

Kurz nach sieben geht die Sonne auf. Mit einem Red Sky begrüßt uns die Stadt. „Guten Morgen liebe Sorgen, seid ihr auch schon wieder da."  Die hinteren Reihen sind schon munter und singen. Pfarrer Norbert Fink betet für alle einen Morgenpsalm. „Hallelu-„ - „Ja". Zweimal muss er ansetzen, bis alle laut und fröhlich mitziehen.

Ankunft im College. 600 Pilger werden nun in die Klassenräume verteilt. Das geht erstaunlich schnell. Das Gepäck ist auch schon da. Oh - bei einigen hat sich tatsächlich die Isomatte vom Rucksack gelöst und scheint verschwunden. Aber in den meisten Klassenräumen liegt weicher Teppich.