Der Einzug in die neue Unterkunft ins Patricia Brothers College in Fairfield läuft hingegen reibungslos. Zwanzig Pilger schlafen in einer Schulklasse. Einige Jungs haben sich schon für die Übernachtung auf freiem Feld am kommenden Wochenende ein leichtes Zelt gekauft. Um es auszuprobieren, bauen sie es einfach im Klassenzimmer auf, das schafft auch ein wenig mehr Privatsphäre. Ich beschließe in den Klassenraum einzuziehen, der eigentlich nur für Priester vorgesehen ist. Hier ist es bestimmt heute Nacht etwas ruhiger. Aber ob die Priester mich dort schlafen lassen? Ich denke einfach gar nicht darüber nach und breite einfach meinen Schlafsack aus. Mal sehen, was passiert.
In der Aula sammeln sich die Jugendlichen zur Ausgabe der Pilgerpässe. Dazu gibt es erste Infos für Sydney. Einige sind vorab noch für einen Augenblick in den Schlafsack gekrochen, ein kurzes Glück, jetzt müssen sie raus und ab in die Aula. Zehn Uhr, 600 Pilger warten bei Discomusik Inzwischen ist auch die Gruppe aus dem kaputten Bus eingetroffen.
Punkt zehn Uhr, Treffen in der Aula, das war so vereinbart. Aber als die 600 müden Mädchen und Jungs um halb elf immer noch warten und sich nichts tut, werden viele ungeduldig: "Wir kriegen hier immer richtig Ärger, wenn wir fünf Minuten zu spät kommen. Und die tauchen hier einfach nicht auf." Aber dann, viertel vor elf, Pfarrer Mike Kolb tritt auf die Bühne und versöhnt mit einer guten Nachricht: "Das Wetter in Sydney - bis zum Wochenende - SONNE - 20 Grad!" - Nach der eisigen Nacht im Bus, tosender Applaus. Um 16 Uhr lädt das College zum Barbecue. Aber dann geht ein Murren durch die Reihen: "Frühstück ab sechs Uhr - nur bis um acht!" Das ist hart. Aber um neun Uhr sollen alle pünktlich in der Katechesekirche sein. Jeder bekommt jetzt einen Pilgerrucksack, in knalligen Farben: Orange und rot und gelb, kräftige Signale. Darin ein Timetable, Stadtplan, Pilgerpässe, ein Taschenlampe und natürlich ein kleiner Koala. Noch Fragen?
"Ein Priestergewand, eine Stola und eine Sonnebrille sind in Melbourne liegen geblieben. Wem gehören die?" will Dominik Meiering wissen - Pfarrer Kolb stellt etwas belustigt fest: "Das triff ja nur einen begrenzten Personenkreis."
Auf nach Sydney. Die Sonne lacht. Strahlend blauer Himmel. Überall in der Stadt wehen Weltjugendtagsfahnen, überall sieht man Pilger mit den Orange-rot-gelben Rucksäcken und auch die Menschen in der S-Bahn wissen, dass der Papst in der Stadt ist und freuen sich darüber. Kein Wunder - auf allen Titelseiten der Zeitungen lächelt der Heilige Vater: "Welcome" steht da in großen Buchstaben oder: "Pope to relight the fire of faith". Vor der St. Andrews Cathedral leuchtet mir ein großes Schild entgegen: "Welcome Pilgrims. Don´t leave Sydney without certainty talks here at 1 pm".
Und auch sonst bekomme ich einen ganz anderen ersten Eindruck als in Melbourne, alles ein wenig mehr Großstadt, der Bahnhof, die Straßen, die Geschäftigkeit. Ich meine sogar zu erkennen, dass die Menschen hier besser und geschmackvoller gekleidet sind. Und dann zeichnen auch noch zwei Flugzeuge mit ihren Kondensstreifen ein weißes Kreuz in den hell heiteren Himmel. Alles Sonnenschein also. Nach der bitterkalten Nacht ist es vielleicht aber auch nur der mich ordentlich durchwärmenden Sonne geschuldet, dass ich so guter Dinge bin. Eine Fröhlichkeit, die schnell verflogen ist, als ich versuche, meinen Presseausweis abzuholen. Welch unseliges Unterfangen. Trotz Anmeldung vorab und vorhandener Registriernummer geht hier gar nichts. Ich soll in einer Schlange, die sich um einen ganzen Häuserblock zieht, warten. Hier stehen alle Volunteers geduldig an. Fünf Stunden soll das dauern, wird mir gesagt. Um kurz nach sieben deutscher Zeit ist ein Telefoninterview mit dem domradio geplant. (15 Uhr in Sydney). Bis dahin sollte ich im Pressezentrum sein und einen Festnetzanschluss aufgetrieben haben. Ich frage ungeduldig nach. Ein sehr wichtig ausschauender Herr in schwarzem Anzug steckt meinen Presseausweis und meine Registernummer ein und verschwindet. Aber er scheint nicht zu wissen, was er tut, denn als er wieder auftaucht, und ich ihn an mein Anliegen erinnere, hat er meine Unterlagen vergessen, vielleicht sogar verloren. Er ist sich nicht sicher und schaut selbst ganz verzweifelt aus. Oh je.
Neben mir steht Michael Johnson vom Sydney Morning Herald, eine der größten Zeitungen in Sydney, auch er wartet auf seinen Presseausweis. Ich frage vorsichtig, ob seine Landsleute in Fragen Organisation eher italienisches Temperament haben. Er lacht und wehrt ab: "Nein, bei den Olympischen Spielen oder als die OPEC sich hier getroffen hat, ging alles wie am Schnürchen." Es sei die australische katholische Kirche, die in der Organisation dieses Welttreffens eher überfordert sei. Nun - das kann ja noch heiter werden, denke ich. Wir nutzen die Wartezeit und plaudern über Gott und die Welt, das heißt natürlich konkret über den Papst in Sydney. Ein Thema taucht in diesen Tagen übergroß in allen Zeitungen auf. Der sexuelle Missbrauch von Kindern durch katholische Priester in Australien. Warum steht dieses Thema so sehr im Mittelpunkt, will ich wissen. Michael Johnson, selbst nicht katholisch, gibt dafür drei Gründe an. Erstens habe sich der Chef der australischen Kirche Kardinal George Pell in Widersprüche verstrickt und unglaubwürdig gemacht. Das sorgt für Aufregung. Zweitens hätten sich viele Missbrauchsopfer wenige Wochen vor dem Papstbesuch an die Presse gewandt, natürlich jetzt um mehr Aufmerksamkeit hoffend, und drittens sei das Thema Missbrauch zurzeit in Australien ohnehin viel diskutiert, nicht nur in der Kirche, sondern auch der Missbrauch von Kindern in Familien oder durch Lehrer. Die puritanische australische Gesellschaft, eher viktorianisch verklemmt geprägt, wolle hier jetzt endlich mehr Aufklärung, Offenheit und Transparenz. Vom Papst erwartet Johnson, dass er sich noch einmal ausdrücklich bei den Opfern entschuldigt. Ohnehin hat der Nichtkatholik konkrete Vorstellungen vom Besuch des Heiligen Vaters. Der könne hier tatsächlich Impulse setzen, wenn er offenherzig, menschlich nah und mit viel Lebenstüchtigkeit auf die Menschen in Australien zugehen würde. Auch würde der Journalist aus Sydney es begrüßen, wenn der Papst sich mit Muslimen, Hindu, Buddhisten und anderen Religionsführern in Sydney trifft. "We have a big important muslim Community in town", betont er. Die Aussies seien skeptische Menschen, Religiosität würden sie eher mit Vorsicht betrachten. "Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten spielt es hier keine Rolle, ob Politiker gläubig oder ungläubig sind. Wenn ein Politiker sich in einer Kirche filmen lässt, dann kommt das eher schlecht an" Und dann betont der nette Herr Johnson noch einmal: "Dem Papst muss es gelingen, unsere Herzen zu erobern." Dafür sind alle Weichen gestellt. Sydney freut sich auf Benedikt.
Ach ja, wie ich dann doch noch meinen Presseausweis bekommen habe? Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht mehr, nach vier Stunden Wartezeit, hundemüde von der nächtlichen Busfahrt und fast verhungert hielt ich das kostbare Halsband endlich in den Händen. Jetzt noch zurück in mein "Priesterstübchen", wie die Kollegin vom Stadtanzeiger scherzt. Ich will nur noch schlafen - die kommenden Tage werden spannend aber sicher auch anstrengend.
Montag 13, Juli 2008
Teil 11 - Sydney, Sonnenschein, Schlange stehen
Die Ölwanne ist kaputt. Der Bus mit Subregens Torsten Kürbig ist eine dreiviertel Stunde vor Sydney liegen geblieben. Ein Ersatzbus muss organisiert werden. Das kann dauern.
Share on