Freitag, 18. Juli 2008

Teil 15: Kreuzweg für VIPs

"Sydney is admiring the pope - the pope is admiring Sydney". Der Weckruf kommt aus dem Sunrise Programm. Ich lasse mich vom Frühstücksfernsehen wecken. Mit welchem Affenzahn sie mir da die Themen um die Ohren ballern. Jetzt ist "gorgeous George" dran, Monsignore Gänswein, der Sekretär des Papstes löst einen gewissen Appetit bei der aufgetakelten Morgenmoderatorin aus. Eine Präsentation mit smarten Bildern von ihm ist auf "You Tube" eingestellt und über 45.000 Mal angeklickt worden.

 (DR)

Soll der Papst sich bei den Missbrauchsopfern entschuldigen, eine Umfrage wird vorgestellt. 80 Prozent meinen, Benedikt soll das tun. Dann wird das ganze wie ein munteres Wettspiel betrachtet: Wird er sich entschuldigen? Wird er sich nicht entschuldigen? Dazwischen stellt ein Mädchen ihr Buch vor, dass sie über ihre Magersucht geschrieben hat: „Biting Anorexia" und ein „Rock revival" von Abba wird gefeiert. Im Frühstücksraum verstopfen schon wieder „Benedict´s (fat) messenger of the Father", wie auf einem T-Shirt steht, das Buffet. Klar, bei den Amis ist es immer der Vater, fällt mir ein, nicht Jesus, verwerfe diesen Gedanken aber sofort wieder als küchenpsychologische Spekulation.

Sachen packen, ein neuer Umzug steht an. Mein Onkel wohnt nicht weit von Sydney. Er wird mich am Abend in der Stadt abholen. Obwohl er in einer sehr katholischen Familie im Münsterland aufgewachsen ist, sagte er mir schon am Telefon: „Wir freuen uns auf Deinen Besuch aber bleibe uns mit dem Papst und der Kirche vom Hals." Er will von Religionen nichts mehr wissen und macht sie für die Kriege und den Unfrieden in der Welt mit verantwortlich. Ich bin gespannt auf die Diskussionen mit ihm. Aber vorher will ich noch zur St. Mary´s Cathedral. Dort betet der Papst heute den Kreuzweg. Ich will sehen, wie das in einer hektischen Stadt wie Sydney funktionieren kann.

Gott sei Dank gibt es Radio Vatikan. Der nette Kollege der polnischen Redaktion erlaubt mir meinen tonnenschweren Koffer bis zum Abend in den Raum zwischen zu lagern, in dem die Vatikaner ihr mobiles Hörfunkstudio eingerichtet haben.  Welch ein Luxus. Mein Studio ist mein Laptop und ein Mikrophon, das habe ich immer im Rucksack auf dem Rücken. Die unverschämten Geldschneider im Hotel Ibis wollten zehn australische Dollar, das sind sechs Euro oder fast zwölf Mark, um mein Gepäck aufzubewahren. Die Stadt ist leer und scheint zu schlafen, dabei ist es nicht sechs Uhr in der Früh, sondern kurz nach zehn. Das heißt aber nicht, dass alle Jugendlichen noch in den Schlafsäcken liegen. Jeden morgen ist ab zehn Uhr Katechese, und da lernen die Mädchen und Jungen etwas über Gott und den Glauben.  

In 30 verschiedenen Sprachen werden die Katechesen in der Sydney angeboten. Ich gehe ins Convention Center, in den großen Saal. 2000 Jugendliche lauschen dort dem Erzbischof von Canberra, Mark Coleridge. Und wie der unter den Scheinwerfern auf der Bühne den Glauben verkündet! So ähnlich wie Thomas Gottschalk: „Wetten dass" präsentiert. Ansteckmikro, freie Rede, große Gesten, kein Rednerpult, der Erzbischof bewegt sich frei, schlendert auf und ab. Zwischendurch, wenn er zum Beispiel einen Schluck Wasser trinkt, scherzt er: „Cheers - this is hard work here under all this lights." Alle lachen. „Ihr seid alle phantastische Autos",  ruft er: „aber manchmal fährt ein Auto nicht. Vielleicht fehlt Sprit, oder die Zündkerzen sind kaputt." Ohne den "holy spirit" seien die Jugendlichen wie Autos ohne Benzin oder wie Autos, in denen der Funke bei den Zündkerzen nicht überspringen würde.

„Jesus wants the cars get out of the garage. That do we mean by mission. We need to be more missionary!" Applaus. Standing Ovations. Einige rufen: "Bishop, we love you." Mir ist das zuviel Rummel, Getöse und Pathos. Diese großen Gesten aus dem Showgeschäft. Passen die zu einer eher stillen, intimen Sache wie den Glauben? Oder bin ich da zu empfindlich? „Wir Deutschen haben eine Pathosallergie", habe ich neulich gelesen. Aus gutem Grund - denn die Deutschen haben erlebt, wie man mit Pathos und Getöse Menschen manipulieren kann. Ist das schlimm - so eine Pathosallergie? Die Ansprache des Papstes gestern Nachmittag fällt mir ein. Das war das Gegenteil von Pathos und Spiel mit dem Publikum. Da verschwand der Heilige Vater ganz hinter seinen nüchternen Gedanken und seinen abgelesenen Worten, keine One-Man-Show wie hier. Aber gibt es nicht etwas dazwischen, zwischen Vorlesung und Entertainment, frage ich mich.  

„Shining his light." - „Grey day turns heavenly as Pope takes first big outing" - „Holy Sea", so die Überschriften heute morgen in den Zeitungen Australiens. Dazu über ganze Seiten Photos vom Papst im Papamobil, auf dem Schiff, jubelnde Jugendliche. In den Kommentaren nur Lob und Freude über das Auftreten und die Worte Benedikts. „Pope praising Australia for apologizing to the stolen generation", besonders die Wertschätzung der Aborigenes wird hervorgehoben. Wenig kritische Stimmen.

Im „Australian" finde ich eine Kolumne, in der Imre Salusinszky mit dem Schalk im Nacken der Katholischen Kirche vier Fragen stellt: „Warum dauert der WeltjugendTAG eine ganze Woche? - Warum sehen so viele katholische Jugendliche um die vierzig aus? - Warum veranstalten alle Päpste einen seltsamen Wettbewerb in der Disziplin, wer spricht mehr Fremdsprachen „badly"? - „Warum ist Benedikt vom anderen Ende der Welt nach Sydney gekommen, um dann die ersten vier Tage seines Aufenthaltes in der Stadt im äußeren Nordwesten zu verbringen - an area avoided by most Sydneysiders themselves?" Tja.

Auf dem Weg zur St. Mary´s Cathedral, wo der Kreuzweg beginnt, komme ich im Convention Center noch an einige eigentümlichen VIP-Lounge vorbei. Fingerfood, Plätzchen, Kaffee ist bereitet, bequeme Sessel sind vor einer Großbildleinwand aufgestellt. Auf dem Türschild steht, dass dies der Raum für die VIPs ist, die von hier aus dem Kreuzweg folgen können. VIP-Viewing of Stations of the cross? Ob das passt?

Ich mache mich zur St. Mary´s Cathedral auf, um dabei zu sein, wenn der Papst den Kreuzweg betet. Doch welch eine Enttäuschung, alles abgeriegelt, ich benötige einen speziellen Presseausweis für den Kreuzweg. Wenn ich mir immer alle Sonder- und Spezialausweise besorgen würde, die ich neben meiner Medienakkreditierung brauche, dann würde ich gefühlte zehn Stunden am Tag Formulare ausfüllen und in Schlangen anstehen. Nicht nur ich habe den Eindruck, dass hier sehr viel überorganisiert ist. Die Priester, die sich für die Abschlussmesse mit dem Papst anmelden wollten, erzählten, dass sie fünf Stunden gewartet hätten, und dann habe es nur geklappt, weil die die Sache selbst organisiert hätten.

Gut - also kein Durchkommen an der Kathedrale. Mir geht diese Sache mit dem VIP-Viewing des Kreuzweges nicht aus dem Kopf. Wie mag das zu gehen? Ich werde nach sehen. Also zurück ins Convention Center. Unterwegs trifft man - trotz Großstadt - immer wieder Bekannte. Jan Frerichs, mit ZDF-Kamera im Arm, läuft mir über den Weg und flucht, dass sie ihn nirgends filmen lassen. „Ganz miese Pressearbeit", stöhnt er. Pfarrer Pauken erzählt von seinem Telefoninterview mit dem domradio. Und auch Pfarrer Mauritz winke ich aus der Ferne zu. Sydney scheint einem manchmal fest in deutscher Hand zu sein.

Es gibt zwei VIP-Räume für das VIP-Viewing der „Station of the Cross." Ein nicht ganz so exklusiver Raum, wo sich viele Funktionäre tummeln und einen Raum für Bischöfe und Kardinäle. Da ich kein Bischof oder Kardinal bin, gelingt es mir nur, mich in den Raum für die anderen VIPs zu mogeln. Hier treffe ich Pfarrer Georg Austen, den Generalsekretär des Bonifatiuswerkes und ehemaligen Sekretär des Weltjugendtags in Köln. Er schwärmt von der Atmosphäre in Sydney, ganz besonders von der Gastfreundschaft. Vorgestern war er mit Kölner Geistlichen essen, und als sie zahlen wollten, wurde ihnen gesagt, das hätten die netten Australier am Nebentisch schon erledigt. „Sie winkten fröhlich herüber", sagt Austen. Auch sei er schon zum Kaffee eingeladen worden, und zwei Mädchen wollten ihm bei Mc Donald´s einen Hamburger ausgeben. Das habe er aber abgelehnt. „Also so etwas ist mir noch nie passiert."

Ich frage ihn, ob er als Priester für mich einmal nachsehen kann, wer denn so alles bei den VIPs im Bischofsraum sitzt, ob er nicht eventuell den Kölner Wehbischof Koch, wenn der dort sei, für ein domradio Interview nach draußen lotsen könne. Als sie die Tür zum VIP-Raum der hohen Geistlichen öffnet, kann ich hineinschauen und sehe: Canapees, Sekt, Wein, Säfte, weiß gedeckte Tische, gemütlich sitzende Kardinäle und Bischöfe, eine Großbildleinwand, die Fenster sind, um den Kreuzweg besser verfolgen zu können, abgedunkelt. Wie merkwürdig, Kreuzweg bei Sekt und Canapees? Wie stellt man sich das denn vor. Jesus wird gemartert, leidet, haucht seine letzten Worte - und dazu: „Ach, könnte ich noch ein Tunfischschnittchen bekommen?" - „Another glas of wine please?" - „Nein Danke, ich bleibe heute beim Sekt."

Weihbischof Koch findet das zum Glück auch unmöglich. Hier wird doch kein Fußballspiel übertragen, sondern der Kreuzweg. Wie die anderen Kardinäle und Bischöfe das wohl erleben? Weihbischof Koch war Generalsekretär beim Weltjugendtag 2005 in Köln. „Toll, wie wir Kölner hier in Sydney überall angesprochen werden," legt er sofort los. Köln habe ein gutes Fundament für Sydney gelegt, es gebe immer noch so viel Dank für das gelungene Treffen in Deutschland, meint er. Aber die Stimmung in der City von Sydney findet er auch wunderbar. Er lobt die hervorragende Organisation, und dass das Land Australien und die Stadt Sydney so viel von den Unkosten übernommen haben: „Das ist viel mehr als die öffentliche Hand in Deutschland damals bezahlt hat." Nur wenig Kritik hat er anzumelden. Etwas gestört habe ihn allerdings, dass gestern bei der Begrüßungsfeier für den Papst gar keine Jugendlichen zu Wort gekommen seien. Immer nur offizielle Politiker und Aborigenes. „Das ist doch kein Staatsbesuch des Papstes in Australien - sondern ein Weltjugendtag, der für die Jugend ausgerichtet wird." In Köln habe man das besser gemacht, ist Koch überzeugt.