Samstag, 19. Juli 2008 (ergänzt)

Teil 16: Vigil und eine kalte Nacht

Wo sind meine Kölner? Wie es ihnen wohl geht? Ein wenig packt mich beim Aufwachen das schlechte Gewissen. Ich liege unter einer warmen Daunendecke, zwei Türen weiter die heiße Dusche und meine Tante fragt mich, ob ich ein gekochtes Ei zum Frühstück möchte. Oje, ich sehe die bibbernden Kölner in der Schlange vor den Dixiduschen vor mir, das spärliche Frühstück aus Plastiktüten … Ich werde heute auf der Pferderennbahn gleich nach den Kölnern suchen, ich muss wissen, wie es ihnen geht.

Kölner Jugend bei der Vigil (DR)
Kölner Jugend bei der Vigil / ( DR )

Auch Bischöfe müssen zum Rauchen vor die Tür. Ich bin auf dem Weg ins „Sofitel", ein erste Klasse Hotel in der City. Hier wohnen die Kardinäle und Bischöfe mit ihren Begleitern. Vor der imposanten Hotelauffahrt stehen zwei Bischöfe in Soutane und plaudern und rauchen.

Ein Nichtraucherhotel - auch rauchende Bischöfe müssen draußen bleiben. Pressekonferenz mit Jugendbischof Bode. Er will eine erste Bilanz ziehen. Doch zunächst geht es um den Kreuzweg gestern. Eine Kollegin kritisiert, ihr wäre die Inszenierung vorgekommen wie ein monströses „Spektakel", wie „Menschen, Tiere, Sensationen". Man könnte auch sagen kitschig, eine Darstellung, die eher ins Phantasialand passt. Bischof Bode gibt zu, dass der Kreuzweg für Europäer ungewohnt und sehr naturalistisch ausgefallen sein: „Mit solchen Darstellungsformen tun wir uns schwer", meint Bode. Aber man müsse auch an andere Frömmigkeitsformen denken, zum Beispiel seien solche Aufführungen auf den Philippinen durchaus üblich und Oberammergau sei davon auch nicht weit entfernt.

Zwischen Großstadtkulisse und der Weite des Meeres könne so ein Schauspiel auch seine nicht zu unterschätzende Wirkung haben, meint der Jugendbischof. „Supreme sacrifice moves faithful to tears". Steht heute in der Zeitung, oder: „One good Friday, Sydney aglow". Die Bilder auf den Titelseiten geben Bischof Bode recht. Nicht nur im Sydney Morning Harald. Die Kreuzigung vor dem Sonnenuntergang am Darling Harbour: „His final torment overlooking picturesque Sydney Harbour bathed in an ephemeral sunset afterglow", schwärmt der Leitartikel.  Das sind Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Bischof Bode meint auch diese Eindrücke, wenn er in seiner ersten Bilanz des Weltjugendtags davon spricht, dass es hier auch zu „Durchbrüchen" bei den Jugendlichen kommen könne, die man zuhause wahrscheinlich nicht hingekriegt hätte. Für die europäischen Mädchen und Jungen sei es auch beeindruckend zu erleben, dass es auf der anderen Seite der Welt auch Glauben gibt, dass die Kirche eine weltweite Gemeinschaft sei.

Und der Papst? Fand Bode die Ansprachen nicht auch zu hölzern? Die Jugendlichen haben nicht viel davon verstanden. „Benedikt ist Theologe und nie Jugendpfarrer gewesen. Das merkt man schon", gibt der Jugendbischof zu Bedenken. Aber zu dem spektakulären Drumherum, zu den Sensationen, sei die ruhige Wirkung seiner bescheidenen Persönlichkeit doch wohltuend. Gar nicht auszudenken, wenn der Heilige Vater hier auch noch als großer Entertainer auftreten würde. „Der Papst ist für die Jugendlichen ein alter Freund mit all seinen Schwächen". Mir leuchtet das ein. Der Kontrast zum Spektakel tut gut. Die sperrigen Worte Benedikts gehen  nicht leicht runter - so dass der Weltjugendtag eben nicht, wie Bischof Bode sich im domradio Interview verspricht, ein „weltweiches", sondern ein weltweit bedeutendes Erlebnis wird: „Das zeigt doch, dass es neben der Globalisierung von Terrorismus und Kolonialismus auch eine Globalisierung der Frohen Botschaft und des Glaubens gibt", meint Bode abschließend.

Aufregung im Pressezentrum, viele Kollegen arbeiten in Affengeschwindigkeit. Was ist los? Der Papst hat sich bei den Missbrauchsopfern entschuldigt, ruft mir Jürgen Erbacher vom ZDF aufgeregt zu. Das heißt das Wort „Entschuldigung" hat er nicht gesagt. Er hat sein Mitgefühl für die Opfer ausgedrückt. Der Schmerz und das Leiden, das die Opfer ertragen hätten, tue ihm aufrichtig leid. Fünf Minuten später melden das alle Agenturen. In einer Messe mit Australischen Bischöfen und Seminaristen hat Benedikt das in Australien lang erwartete Bedauern ausgesprochen.

Auf zur Pferderennbahn. Der Funke des Weltjugendtags ist längst in Australien übergesprungen: „Menschen werden zur Abschlussmesse kommen, obwohl sie es vorher gar nicht wollten", hat mir ein anderer Bischof gesagt, und ich glaube er hat recht.

In der Innenstadt sammeln sich die Pilger, eine endlos scheinende bunte Pilgerkarawane zieht in Richtung „Radwick Racecourse". Zu Fuß sind das von der City aus immerhin gut sieben Kilometer. Viele schleppen ihre schweren Koffer auf kleinen wackligen Rädern hinter sich her. Andere Pilger sind mit ihrem gesamten Reisegepäck, den sperrigen Rucksäcken schwer bepackt.

M 6 - da sind die Pilger aus dem Erzbistum Köln. Unter 200 000 Menschen nicht ganz leicht zu finden. Eine Stunde stapfe ich über Schlafsäcke, Isomatten, Turnschuhe, Alufolien, Rucksäcke, dicht an dicht haben die Jugendlichen ihre Nachtlager bereits aufgeschlagen. Zwischendurch komme ich am VIP Zelt vorbei. Heute ist mein Glückstag, denn natürlich habe ich keinen Ausweis für das Promizelt, aber ich lächele die beiden Kontrolleure einfach selbstbewusst an und sie lassen mich ohne ein „Hallo, show me your access." durch die Tür marschieren. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich heute im kompletten domradio Outfit unterwegs bin, domradio T-Shirt, domradio Jacke, domradio Tasche, das sieht sehr bedeutend und prominent aus, wer hält schon einen Mitarbeiter vom domradio auf? Das wäre ja noch schöner.

Im Zelt gibt es heiße Ministrone, Blumenkohlsuppe, Lachsschnitten, Hühnchensandwich und natürlich Sekt, Wein, O-Saft. Die Nacht wird kalt. Ich esse mich satt und verschwinde wieder. Obwohl es in diesem Zelt schon gemütlich warm ist. Aber ich will zu den Kölnern und außerdem bekommt man hier nichts von der Vigil mit. Zwei weitere Absperrungen passiere ich auch ohne Probleme, es ist wirklich mein Glückstag - oder ist es der Heilige Geist, der mich so geschwind zur Kölner Gruppe fliegen lässt? Da sind sie, ich erkenne die Kölner Fahne zwischen der deutschen und der Aussie Flagge, nicht weit davon den Düsseldorfer Wimpel. Und wer schnupt da kräftig in sein Taschentuch? Pfarrer Dominik Meiering hat es erwischt, wie einige andere auch. Ein Husten, eine Erkältung, aber das tut seiner Stimmung keinen Abbruch, wie ich sofort merke.

Ich freue mich meine Kölner wieder zu treffen. Großes Hallo. Dominik lädt mich sofort in „sein Wohnzimmer" ein, zweieinhalb Quadratmeter, eine ausgerollte Isomatte, auf dem Schlafsack nehmen wir Platz. „Alle munter, alles gesund an Bord?" frage ich ihn. Er nickt. Es gibt keine Ausfälle, bis auf Schnupfen und Halsweh. Aber alle sind auf der Pferderennbahn dabei. „Heute Morgen gab es zunächst ein wenig murren, als gesagt wurde, das College bleibt heute Nacht abgeschlossen", erzählt Meiering: „Aber dann habe ich gerufen: "Leute, wir machen das schon, und sofort haben alle mit eingestimmt und geantwortet: Leute, wir machen das schon!"

Der Kölner Stadtjugendseelsorger würde sich wünschen, dass solch eine Begeisterung häufiger auch in den deutschen Pfarreien gelebt würde, „dass einer brüllt: ´Leute, wir machen das schon´ und dann sagen die anderen: ´ja wir machen das schon` und dann nicht herumgememmt wird". Und die Erkältung? Hält er noch durch? „Natürlich. Keine Frage", antwortet er ohne Zögern: „Die Atmosphäre und der fröhliche Schwung der Mädchen und Jungen hier stecken mich an - da hat ein Schnupfen keine Chance."  Als ich mich umhöre, stelle ich fest, dass es doch einige aus der Kölner Gruppe erwischt hat. Ein Mädchen ist ganz heiser und fürchtet sich vor der eiskalten Nacht. Winter in Sydney. Fünf Grad, vielleicht sieben, das ist unglaublich kalt. Aber ihre Freundin Kerstin hat versprochen, wenn es ganz schlimm wird, dann soll sie sich einfach ganz eng an sie kuscheln. „Wir werden das mit warmen Herzen durch stehen", macht Dominik allen noch einmal Mut. Die Schlafsackwürste liegen ganz dicht beieinander, da passt kein Mensch mehr dazwischen. Gemeinsamkeit macht stark.

Noch bevor die Vigil beginnt spricht sich in Windeseile eine Hiobsbotschaft herum: alle Toiletten im "Großraum Köln" sind verstopft. Weiter heißt es, die Leitungen könnten nicht durchgespült werden, weil dafür alle Klos geräumt werden müssten, und das gelingt den Ordnern einfach nicht. Eins, zwei, drei - die Kölner Gruppe, alles erstklassige praktisch veranlagte Pfadfindertalente, macht mobil. Zwanzig Mädchen und Jungens schwirren aus, kurze Absprache, schnelle Einteilung, Absperrung funktioniert. Zehn Minuten später sind die Toiletten wieder in Ordnung. „Man muss die Dinge einfach selbst in die Hand nehmen", so das Motto der Kölner.  

Die Vigil beginnt. „Halleluja - receive the power from the holy spirit." Ein Kerzenmeer, 200.000 Weltjugendtagspilger winken mit ihren Kerzen, über ihnen der leicht verschleierte Mond, fast Vollmond. Als der Papst auf die strahlend rote Bühne kommt, spielt eine Orgel, andächtige Stille kehrt ein. Ich bin erstaunt, dass kein Handy klingelt, (bei tausenden Jugendlichen um mich herum - ein Wunder), man hört kaum ein Husten, aus der Ferne nur die Rotoren eines Hubschraubers, der das Gelände so weit oben überfliegt, dass man ihn gar nicht sehen kann.

Alle Konzentration gilt dem, was vorn auf der Bühne passiert. Besonders bewegt mich, als die Pilger gemeinsam nieder knien, um das Allerheiligste anzubeten, in einer wagenradgroßen Monstranz ist es bis weit nach hinten zu sehen, so einen großen Monstranzstern habe ich noch nie erlebt. Manche knien in ihren Schlafsäcken, da sehen sie aus wie Lebewesen, die sich gerade verpuppen, die neugierig aus ihrem Larvenhaus heraus schauen. Es wird nicht gegessen, es wird nicht getrunken, es wird nicht geschrien und nicht herum gelaufen oder geschwatzt und gespielt, es wird gebetet, so viele junge Menschen auf einmal, so still und andächtig, so erwachsen auch, mich rührt das an.

Und danach wieder „Al-le-lu- ia". Einige bedauern nach der Vigil, dass nicht mehr Lieder zum Mitsingen dabei waren, dass zu viel von vorne kam. Nach der Stille hätten sie gerne noch einmal alle gemeinsam gesungen. Aber das gab es nicht. Auch als einige eine akustische Laola Welle anstimmen und „Bene-detto" rufen, setzt sich das nicht durch, weil vorne das Programm einfach weiter geht. „Viva il Papa", vereinzelte Rufe hört man dennoch immer mal wieder. In der Kölner Gruppe kommt allerdings doch größerer Ärger auf, als auf der Bühne das lärmende Showprogramm gleich nach der Vigil mit viel Karamba weiter geht. Gerne hätte man sich jetzt noch zur Gitarre zusammengesetzt und gesungen, sich warm gesungen, um dann in den Schlafsack zu schlüpfen. Das ist aber bei dem Lärm da vorn nicht möglich. Dieser Krach tut auch der Atmosphäre im Anbetungszelt nicht gut. Das Allerheiligste ist in dem weißen Zelt ausgestellt, hunderte knien dort und beten bis spät in die Nacht.

Anbetung im weißen Partyzelt? Ich kann nicht anders, als das merkwürdig zu finden. Hat nicht alles seinen rechten Ort? Oder bin ich zu etepetete, zu westeuropäisch? Gab es so ein Zelt auf dem Kölner Weltjugendtag auch? Ich entdecke dieses Anbetungszelt auf dem Weg zum Bus-Shuttle Service ins Pressezentrum. Dort will ich noch meine Interviews nach Köln überspielen, damit sie gleich im domradio gesendet werden können. Der Busfahrer hat am Samstagabend die Musik aufgedreht: „Yes Sir, I can boogie". Welch ein Kontrast zu dem Eindruck aus dem Anbetungszelt. Aber es sind die anderen Bilder, die in meinen Kopf nachhallen. Die Atmosphäre während der Vigil, die Stille, das unendlich scheinende Kerzenmeer, der verschleierte Mond. Morgen um sechs Uhr fahre ich wieder raus - auf die Pferderennbahn, ich will zeitig vor der Papstmesse dort sein. Jetzt ist es gleich zwei Uhr, die Nacht werde ich mir im Presseraum um die Ohren schlagen.