Noch wehen die Weltjugendtagsfahnen im frischen Wind auf den Brücken in Darling Harbour. Die Bühnen sind allerdings schon abgebaut. Morgendliche Ruhe im Hafen. An der Promenade treffe ich einen Gebetskreis. Mexikaner, die mitten in der Stadt ihre Morgenandacht halten. Aber sonst sehe ich kaum einen der signalfarbenen Rucksäcke oder der safarifarbenen Hüte, die mich auf meinen Wegen in den Tagen vorher so heiter begleitet haben. Die Hallen im Convention Center sind schon vom nächsten Großereignis erobert. "FoodPro", heißt die Lebensmittelmesse, zu der geschäftige Männer in dunklen Anzügen eilen: "Taste the difference", heißt es auf einem Plakat. In der kommenden Woche findet hier Australiens "biggest food processing exhibition statt."
Gestern Abend habe ich noch lange mit meiner Tante und meinem Onkel zusammen gesessen. Sie leben seit fast fünfzig Jahren in Australien, haben mit der katholischen Kirche aber nichts am Hut. "Australier können mit so autoritär funktionierenden Institutionen wie der katholischen Kirche nichts anfangen", meint mein Onkel. Er ist selbst streng katholisch erzogen worden und war in seiner Jugend begeisterter Pfadfinder: "Unser Zusammenleben hier funktioniert auch ohne Kirche sehr gut", sagt er jetzt. Interessiert ist er dennoch und kann sich sehr über die Sexualmoral der Katholiken und den Zölibat aufregen. Im ABC-Fernsehprogramm läuft um 23 Uhr eine Reportage über die Ehelosigkeit der Katholischen Priester - die schauen wir uns gemeinsam an. Ein australischer Erzbischof erklärt, dass man den Zölibat schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht aufheben kann. In Australien gibt es keine Kirchensteuern und die Gemeinden bezahlen ihre Priester aus eigener Tasche. Für einen Priester mit Familie könnten sie nicht aufkommen, meint der Erzbischof. Meinen Onkel überzeugen diese ökonomischen Argumente nicht. "Wenn die Kirche die Priester nicht mehr zur Ehelosigkeit zwingt, wenn sie Frauen zum Priesteramt zulässt und die Sexualmoral lockert, an die sich ohnehin kein Mensch mehr hält, dann hätte sie viel mehr Zulauf", sagt mein Onkel. Ich glaube das nicht und versuche ihm zu erklären, dass die Glaubenskrise in der westlichen Welt viel tiefer und komplizierter begründet ist. Schließlich habe die evangelische Kirche kein Zölibat und Frauen sind dort Pfarrerinnen. Aber an Austrittszahlen steht sie der katholischen Kirche in Deutschland in nichts nach. Lange Gespräche - wir werden sie sicher in den kommenden Tagen fortsetzen, denn ich bleibe noch zwei Wochen in Sydney, Urlaub beim Onkel.
Müde ist kein Ausdruck, hundemüde auch nicht, vielleicht himmelherrgottshundemüde falle ich ins Bett. Vor meinem Fenster - im Garten meines Onkels - sitzt ein Opossum auf einem Eukalyptusbaum. Ein merkwürdiges Tier, das sich flink wie ein Eichhörnchen bewegt, aber so groß ist und so aussieht wie ein kleiner Ameisenbär. Neugierig schaut es mich an. Verschwindet dann mit einem Stück Melone, das meine Tante ihm auf ein Futterbrett am Baum hingelegt hat. So ein Tier habe ich noch nie gesehen.
Im Pressezentrum treffe ich meinen alten Bekannten Michael Johnson vom "Sydney Harald". Er ist guter Dinge, winkt mir schon von weitem entgegen. "What an amazing event", schwärmt er: "What an incredible visit of the pope". Der Papstbesuch hat auch ihn, den Nichtkatholiken, berührt und mitgerissen. Im "The Australian" breitet der Heilige Vater auf der ersten Seite die Arme weit und einladend aus, er lacht, sogar seine Augen lachen. Darüber steht: "Pope,s age of renewal". Überall der Papst, überall Benedikt. Im Daily Telegraph küsst er aus seinem Papa Mobil heraus ein Baby, das zu ihm hoch gereicht wird: "All god,s children", lautet die Überschrift.
Ich checke meine Mails. Angelika Winkler aus dem Münsterland hat mit geschrieben und bedankt sich für mein Tagebuch. Eine andere sehr nette Nachricht kommt von Familie Knauf. Ihre Kinder sind unter den deutschen Pilgern, sie freuen sich, dass sie in meinem Blog ein wenig mitverfolgen konnten, wie es den Jugendlichen in Australien geht. Oh - vielen Dank für die liebe Rückmeldung! Es ist das erste Mal, dass ich so etwas versucht habe und es hat mir viel Spaß gemacht. Wie werde ich die kommenden Tage nur ohne mein Tagebuch auskommen? Nun - vielleicht erzähle ich dem Opossum im Garten meines Onkels die Geschichten, die ich jetzt erlebe. Zwei Wochen Urlaub. Wie viele andere Pilger aus Deutschland habe ich die an den Weltjugendtag angehängt.
Übrigens - Familie Knauf. Ihre Tochter Lea hat mit der Kollegin vom Kölner Stadtanzeiger in der gleichen Gastfamilie in Melbourne gewohnt. Es geht ihr sehr gut. Sie schwärmt vom Weltjugendtag - angesteckt worden sei sie aber schon vom WJT in Köln. Der Weltjugendtag dort habe sie im Glauben bestärkt und ihr geholfen - "bei allen Problemen die man als Teenager schon mal mit der Kirche hat".
Der Papst sitzt schon im Flugzeug nach Rom. Die Katze "Bella" darf in Australien in seiner Unterkunft im Studienzentrum in Kenthurst bleiben. Das elf Monate alte Kätzchen war extra angeschafft worden, um Benedikt während seines Aufenthaltes dort Gesellschaft zu leisten. Künftig will sich das Personal um Bella kümmern.
Auf der Rückfahrt mit dem Bus zu meinem Onkel sehe ich vor Schulen und Colleges Gruppen von Jugendlichen - neben ihnen ein großer Haufen mit Rucksäcken, Rollkoffern, Isomatten. Zwischendrin leuchten die Signalfarben: rot-gelb-orange der Weltjugendtagsrucksäcke.
Als der Bus an einer Ampel hält, lese ich vor einem Restaurant die Werbung für ein bavarian beer cafe: „After a long day with my falcon - I deserve a real beer".
Montag, 21. Juli 2008
Teil 18: What an amazing event
Blue Mountains. Etwas vom Land sehen. Die Jugendlichen aus dem Erzbistum Köln machen heute einen Ausflug. Ich fahre in die Stadt, um den Papst nach Rom zu verabschieden - und für mich selbst, den Weltjugendtag ausklingen zu lassen. Ein typischer Montag in Sydney. Nach dem kunterbunten Glaubensfest kehrt wieder Alltag ein.
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