Franz Kamphaus lebt seit einem Jahr mit behinderten Menschen - Ein Besuch im Vincenzstift

"Du, Bischof"

Seit gut einem Jahr lebt Franz Kamphaus am Dorfrand von Aulhausen hinter Rüdesheim. Vor allem: Seit gut einem Jahr lebt der frühere Limburger Bischof im dortigen Vincenzstift unter geistig behinderten Menschen. Kamphaus sagt nach einem Jahr: "Mir war klar: Ich gehe an den Rand. Meine Mitbewohner lehren mich viel, sie sind radikal ehrlich." Christoph Strack hat den 76-jährigen besucht.

Autor/in:
Christoph Strack
Franz Kamphaus mit Mitbewohnerinnen im Vincenzstift (KNA)
Franz Kamphaus mit Mitbewohnerinnen im Vincenzstift / ( KNA )

Kamphaus gab im Februar 2007, an seinem 75. Geburtstag, die Leitung des Bistums Limburg ab. Der Papst hatte sein Rücktrittsgesuch angenommen. Im Sommer drauf siedelte der weit über kirchliches Milieu hinaus bekannte Bischof ins Vincenzstift über - eine 115 Jahre alte Einrichtung für Behinderte, versteckt in einem Dorf hinter dem Berg, nachdem sich ein Nachbarort zu Gründungszeiten gegen die «Schwachsinnigen» gewehrt hatte. Heute ist es die größte Einrichtung dieser Art in Hessen. Um die gut 500 behinderten Menschen kümmern sich 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter viele Teilzeitkräfte. Das Engagement geht derzeit in Richtung kleinerer Wohngruppen und dezentraler Unterstützung.

Ein unscheinbarer Anbau des Komplexes ist Domizil des Altbischofs. Es ist, passend zum Münsterländer Bauernsohn, ein altes Bauernhaus, Urbestand der Anlage. «F. Kamphaus» steht auf der Klingel. Offiziell führt der 76-Jährige den Titel «Rector Ecclesiae». Immer häufiger springt er an Sonntagen als Priester in den Pfarreien der Umgegend ein. Aber vor allem ist er für die Menschen im Stift da.

Als Kamphaus an diesem Vormittag die Wäscherei betritt, tönt es «Hallo Bischof». Plaudern über die Sommerhitze, die Ferienstimmung. Auch beim Mittagessen kommt seinen drei behinderten Gesprächspartnern Christina, Heidi und Peter nur das «Du» über die Lippen. «Du, Bischof». «Mit allen per Du zu sein, ist hier Grundgesetz», sagt er schmunzelnd. Eine der jungen Frauen, die, leicht geistig behindert, außerhalb in einer Wohngruppe lebt, berichtet vom Stress mit ihrem Freund: «Das ist nicht einfach.» Kamphaus hört zu, sagt wenige tröstende Worte.

Vormittags besucht der Geistliche Werkstätten oder betreute Gruppen. Unterwegs herzliche Szenen. Wenn Mehrfachbehinderte schier verbogen in ihrer Erkrankung, aber quietschend vor Vergnügen Kamphaus begrüßen, wirkt das zunächst bedrückend und heiter zugleich. Die wichtigste Stunde der Woche ist ihm der Gottesdienst am Samstagnachmittag. So ganz anders, als bischöfliche Feiern sonst sind. Kamphaus spricht frei, setzt auf bildhafte Sprache, redet die Zuhörer mit Vornamen an. Der Gottesdienst dauert höchstens 45 Minuten.

Kamphaus erzählt von der Begegnung mit einer 16-Jährigen. «Du hast Gott im Kopf. Ich habe ihn im Herzen», sagte sie dem Bischof. Was Kamphaus im Vinzenzstift lernt: «Das Wichtigste ist nicht, was ich tue, sondern, dass ich da bin, mit ihnen bin.» Die Nähe zu diesen Menschen gehöre für ihn zur Mitte der Kirche. Kamphaus erhält einen neuen Blick auf Caritas, auf Nächstenliebe. Er spüre jetzt im Alltag noch viel stärker als früher, wie wichtig das Miteinander von Caritas und Gemeinde ist. «Wenn wir beides nicht stärker zusammenbinden, können wir viel von missionarischer Kirche reden, aber dann wird es mit der missionarischen Kirche nichts.» Hier die institutionalisierte Arbeit des Wohlfahrtsverbandes, dort die bürgerliche Gemeinde, in der die Sorge für Behinderte und Menschen am Rand zu selten konkrete werde - «das ist eines der Grundübel unserer Kirche». Es müsse «zusammenwachsen, was zusammengehört». Sonst lese man «Fürbitten aus dem frommen Buch, aber nicht aus dem Leben.»

Auch als emeritierter Bischof ist er querdenkend wie zu aktiven Zeiten. «Beim Miteinander von Evangelium und Leben sind wir im Grunde immer Stümper.» Kirche müsse dem Menschen zugewendet sein, bei all den Umbrüchen, die sie derzeit zu bewältigen habe. «Wie wir da rauskommen, wird sich zeigen. Da möchte ich kein Prophet sein.» Kamphaus, dem man sein Alter ansieht, aber beim Zuhören nicht anmerkt, sagt das ohne Larmoyanz.

Der ein oder andere Bischof, nicht nur sein Nachfolger Franz-Peter Tebartz van Elst, schaute schon in Aulhausen vorbei. Regelmäßig erreichen Kamphaus nach seiner Pensionierung Anfragen, die ihn für Exerzitien gewinnen wollen. Er beschränkt sich auf wenige geistliche Angebote für Priester. «Jetzt bin ich hier und tue gerne das, was ich tun kann», sagt er. «Alles hat seine Zeit, und dieses Leben hier hat seine eigene Zeit.» Ruhiger sei er geworden, gelassener, weniger «heißspornig». Er sagt es nicht wehmütig: «Die Leidenschaft ist geblieben.»