Die schwierige Aufklärung der Bamberger Missbrauchsfälle

Viele Spekulationen und wenig Klarheit

Was ist Wahrheit, was ist Spekulation? Von letzterem gibt es in der Erzdiözese Bamberg derzeit jede Menge. Seit ein 63-jähriger mittlerweile von allen Ämtern zurückgetretener Domkapitular im Verdacht steht, in seiner Zeit als Leiter des Erzbischöflichen Knabenseminars Zöglinge sexuell missbraucht zu haben, brodelt die Gerüchteküche. Fast täglich berichten Medien von möglichen neuen Betroffenen.

Autor/in:
Christian Wölfel
 (DR)

Einfacher wird die Aufklärung dadurch nicht. Bisher haben aber zumindest drei Zeugen eine Aussage bei den Ermittlern gemacht, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Joseph Düsel erklärt.

Dass der Bamberger Fall hohe Wellen schlägt, hängt sicherlich auch mit der Position des Beschuldigten zusammen: Als Personalchef einer Diözese ist er bundesweit bis jetzt der höchstrangige Geistliche, dem sexuelle Übergriffe an Minderjährigen zur Last gelegt werden.
Von 1976 bis 1991 war er in dem Knabenseminar tätig, aus dem Priester und Pastoralreferenten des Erzbistums hervorgingen. Dass es in der Einrichtung zu Übergriffen kam, ist wahrscheinlich. Doch die Faktenlage bleibt unübersichtlich.

Bisher ist die Rede von vier mutmaßlichen Opfern, die sich an den unabhängig arbeitenden Bischöflichen Beauftragten für Missbrauchsfälle, einen Psychotherapeuten, gewandt haben. Mit der Einrichtung einer solchen Stelle hat sich das Erzbistum korrekt an die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz gehalten. Deutlich mehr als vier Opfer könnten es jedoch sein, glaubt man den Enthüllungsstorys der Presse. Die darin nie namentlich genannten Zeugen oder Betroffenen meldeten sich aber nicht immer bei der Staatsanwaltschaft. Der aber helfen anonyme Aussagen nicht weiter.

Sowohl am Montag als auch am Dienstag musste sich der Staatsanwalt etwa mit Medienberichten über Suizide beschäftigen. In einem Fall soll es sich um einen ehemaligen Internatsschüler des Beschuldigten gehandelt haben, im anderen um einen Jugendlichen, den der Priester als Religionslehrer an einem Gymnasium unterrichtet haben soll.
Beide Selbsttötungen liegen fast 20 Jahre zurück und wurden damals untersucht. Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gebe es bisher keine, so Düsel, der die Fälle aber noch einmal prüfen will.

Das Erzbistum sieht sich ebenfalls mit diesen Vermutungen konfrontiert. Doch auch die kirchlichen Stellen können ohne konkrete Zeugen wenig Licht ins Dunkel bringen. Man will nichts ausschließen, kann aber auch nichts bestätigen. Selbst, wo Fakten vorliegen, werden diese immer wieder ignoriert. Mehrmals wurden in der Presse entgegen anderen Erklärungen falsche Orte und Gesprächspartner über ein Treffen im Herbst 2007 in Nürnberg genannt, an dem ein mutmaßliches Opfer, der Beschuldigte, der Beauftragte des Erzbistums und ein unabhängiger Jurist teilnahmen.

Um aus dem Gestrüpp von wuchernden Verdächtigungen herauszukommen, könnte eigentlich nur einer helfen: Doch der zurückgetretene Personalchef will sich an nichts mehr erinnern können. Ob dies eine Schutzbehauptung ist oder ob es sich tatsächlich um eine Amnesie handelt, die es Experten zufolge in solchen Fällen geben kann, lässt sich bisher nicht klären. Um die bekannten Betroffenen kümmert sich derweil der Psychotherapeut. Dieser hat ihnen vollen Vertrauensschutz zugesagt. Dazu gehört, dass er zwar die Vorfälle, aber nicht die Namen ohne deren Einverständnis an die Staatsanwaltschaft weitergibt.

Im Moment bleibt also nur der Appell von Erzbischof Ludwig Schick, dass sich mögliche Betroffene mit den Ermittlungsbehörden und dem Bischöflichen Beauftragten in Verbindung setzen sollen. Nur so könnten Staatsanwaltschaft und Erzbistum den Dingen auf den Grund gehen. Ob jedoch alle Vorwürfe in der aktuellen Gemengelage restlos aufgeklärt werden können, bleibt fraglich. Und selbst wenn die Staatsanwaltschaft etwas Substanzielles finden sollte, würde wohl die strafrechtliche Verjährungsfrist greifen. Denn die mutmaßlichen Fälle liegen zeitlich so weit zurück, dass sogar die bei Missbrauchsfällen besonders langen Verjährungsfristen überschritten sein dürften.