Nachkommen von Einwanderern machen in Parteien und Parlamenten Karriere

Völlig deutsche Volksvertreter

Omid Nouripour erinnert sich genau an den Beginn seiner politischen Laufbahn. Der CDU-Politiker Roland Koch startete 1999 in Hessen eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, mit der er letztlich die Landtagswahlen für sich entschied. Der junge Grüne mit einem Faible für hessische Mundart hatte plötzlich das Gefühl, "dass meine Heimat nicht mehr meine Heimat sein darf".

Autor/in:
Mey Dudin
 (DR)

Damals seien Bürger zu den Ständen der Parteien gekommen, um zu fragen, wo man «hier gegen Ausländer unterschreiben» könne. Dieser «offene Rassismus» war für den Frankfurter - der mit seinen Eltern in den 80er Jahren den Iran verließ - ein «wahnsinniger Antrieb», in die Politik zu gehen.

Inzwischen sitzt Nouripour im Deutschen Bundestag. Mit seinen Fraktionskollegen Ekin Deligöz (Türkei), Josef Winkler (Indien) und Jerzy Montag (Polen) gehört er dort zu den elf Volksvertretern mit zumindest einem ausländischen Elternteil. Für SPD und Linke engagieren sich je drei Abgeordnete mit Migrationshintergrund, für die CDU sitzt Michaela Noll im Parlament, deren Vater aus dem Iran stammt.

Als Kind von Einwanderern aus der Türkei wurde die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen in Duisburg geboren. Als Jugendliche hatten sie die ausländerfeindlichen Brandanschläge der 90er Jahre in Mölln und Solingen «am intensivsten beeinflusst». Sie begann daraufhin, sich in der örtlichen Antifa und in Migrantenorganisationen zu engagieren. Da Dagdelen als eine von sechs Kindern schon während der Schulzeit nebenher arbeiten musste, wurde sie gewerkschaftlich tätig. Als Mitarbeiterin einer Reinigungsfirma am Flughafen Düsseldorf gründete sie den Betriebsrat mit. «Es ging mir immer darum, mich auch in meinem persönlichen Lebensumfeld für mehr Rechte und ein besseres Leben für alle einzusetzen», sagt die Politikerin.

Indirekt wurde FDP-Politiker Philipp Rösler von einem Lehrer beeinflusst. «Er war beliebt, sympathisch - und ging zu den Republikanern», erinnert sich der niedersächsische Landeschef seiner Partei. Rösler wollte verhindern, dass sein Lehrer die rechte Partei hoffähig macht und ließ sich zum Schülervertreter wählen. Während der Kampagne gegen den rechten Pädagogen lernte er einen Jungen Liberalen (JuLi) kennen und trat kurz darauf in die FDP ein.

Rösler, der als Baby aus Vietnam zu seiner Adoptivfamilie nach Deutschland kam, hat sich «immer als Deutscher gefühlt». Seine Herkunft und sein asiatisches Aussehen hätten weder in der Schule noch bei der Bundeswehr eine Rolle gespielt. «Als Asiat hat man es immer leichter, weil alle denken, ich kann Karate», sagt er. Vietnam habe er 2006 zum ersten Mal besucht. Die Reise sei eher intellektuell spannend gewesen. «Und das Essen schmeckt super.»

Dem niedersächsischen CDU-Landeschef sieht man im Gegensatz zu Rösler, Nouripour und Dagdelen den Migrationshintergrund nicht an. Erst der Name weist auf David McAllisters schottische Wurzeln hin. Der Sohn eines britischen Militärbeamten verbrachte seine Kindheit in einem «kleinen Stück Großbritannien» in Berlin-Charlottenburg mit «britischen Kindergärten, britischen Schulen und britischem Gottesdienst». Die Zeit in West-Berlin prägte McAllister nachhaltig. DDR und Berliner Mauer machten aus ihm einen «konsequenten Anti-Kommunisten».

Mit der Pensionierung des Vaters zog die Familie 1982 in den Landkreis Cuxhaven, wo der Elfjährige «sehr schnell völlig deutsch» wurde. Geblieben ist die Liebe zum grob geschnittenen Weißbrot. Für Irritationen in deutschen Behörden sorge das große A nach dem kleinen c in seinem Namen. «Auch werde ich häufig gefragt, ob ich Dudelsack spiele und geizig bin». Doch darauf antwortet der Politiker inzwischen «sehr milde». Allerdings verzweifelt der CDU-Politiker «oft an der Humorlosigkeit der meisten deutschen Linken». Ironie in der Politik werde nicht immer von allen umfassend verstanden, moniert er.

Auf Humor setzt die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, wenn sie mal wieder gefragt wird, «wie es denn bei euch Zuhause so ist» und ob sie bestimmte Sachen «als Frau und Muslimin überhaupt darf». Politisches Engagement ist für die aus Istanbul stammende Sozialdemokratin selbstverständlich. «Das ist mein Land und deshalb ging ich in die Politik», betont sie.

Grünen-Parlamentarier Nouripour, der seit sechs Jahren den deutschen Pass hat, will seine neue Heimat ebenfalls aktiv mitgestalten. Der 33-Jährige sagt: «Ich habe bis heute einen Traum, dass eines Tages die CDU mit SPD und Grünen um die Stimmen derjenigen konkurriert, die irgendwann Deutsche geworden sind.»