Schavan besucht deutsche Theologiestudierende in Jerusalem

"Die Bibel - das sind Orte und Menschen"

"Sie sind doch selbst Theologin. Ich würde gerne
wissen: Wie sind Sie dazu gekommen, was hat Sie daran interessiert?" Jan-Berend Klein nutzt die Gelegenheit. An einem wohlig heißen Jerusalemer Spätnachmittag sitzt ihm Annette Schavan gegenüber, die Bundesbildungsministerin. Und nach diversen Fragen der CDU-Politikerin an Klein und seine 22 Mitstudenten will der Student der evangelischen Theologie, der von Berlin in die israelische Hauptstadt kam, auch mal seine Ministerin löchern.

 (DR)

Bei ihrer bis Sonntag dauernden Israelreise, die den Austausch
geistes- und kulturwissenschaftlicher Wissenschaftler im Blick hat, besuchte Schavan zum Abschluss des Freitags das «Theologische Studienjahr Jerusalem», ein Projekt der Benediktinerabtei Dormitio auf dem Jerusalemer Zionsberg. In der so zentralen Stadt des christlichen Glaubens studieren seit 1973 jedes Jahr rund zwei Dutzend Theologiestudierende aus Deutschland gemeinsam, Katholiken und Protestanten, junge Männer und junge Frauen. Ein großartiges, aber auch ein sehr forderndes Studienjahr, meint die Ministerin.

Und ein einmaliges Projekt: Gemeinsam lernen und leben dort, wo alles begann. Der Fußweg zur Grabeskirche dauert zehn Minuten und führt durch Gassen armenisch-orthodoxer Christen und orthodoxer Juden, das Glockengeläut der Klosterkirche mischt sich mit dem Ruf des Muezzins, nebenan lernen in einer Yeshiva junge Juden, und aus dem Zimmer der Studenten geht der Blick auf Felsendom und Ölberg.
«Hier bin ich herausgefordert und angefragt», berichtet Martin Kochalski (28) aus Leipzig. Der Katholik kam von der Uni Erfurt ins Heilige Land. «Die Bibel ist hier nicht nur ein Buch, das sind konkrete Orte und Menschen.»

Seit bald drei Wochen sind die Studierenden als Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austausch-Dienstes in Jerusalem, ihr Programm läuft, mit einer Weihnachtsunterbrechung, bis April. Noch kommen sie erst an in der Stadt, in dieser Lebenssituation. Kathrin Hager (23), Protestantin aus Erlangen, verweist auf die Eindrücke der Trennmauer und die Ahnung von tagtäglicher Gewalt angesichts der Erzählungen der Einheimischen. «Schon am ersten Tag wird man in der Altstadt regelrecht überwältigt von den Problemen, die es gibt», sagt auch Prisca Patenge, 22-jährige Katholikin aus Mainz. Natalie Karolewski
(22) aus Kempten im Allgäu, die zuvor in Augsburg evangelische Theologie absolvierte, verweist auf die Lage des Studienhauses gleich neben dem Benediktinerkloster: Die Verbindung zwischen Studium und dem Leben des Klosters mit seinen Gebetszeiten sei «sehr schön». Im Gegenzug sagt auch Benedikt Lindemann, der Abt des Klosters, die Anwesenheit der jungen Leute sei «Jahr für Jahr eine Bereicherung, etwas wirklich Wertvolles für die Mönche».

Mögen biblische Textanalysen oder ökumenische Kontroversen, Annäherungen an Judentum und Islam im Zentrum der Studien stehen, auch politische Fragen kommen auf die Tagesordnung. Joachim Negel (46), der als Studiendekan das Programm plante, verweist auf das Jahresthema «Mein Reich ist nicht von dieser Welt - Herrschaft und Macht in den Religionen». So geht es von der Gewalt in Bibel-Erzählungen über muslimische Expansion bis zu «Israel und Palästina, zwei Nationen und zwei Staaten im 20. Jahrhundert».

Seit 35 Jahren gibt es das Studienjahr. Die ersten Studierenden hockten im Yom-Kippur-Krieg 1973 im Bunker des Hauses, ein einziges Jahr, 2002/2003, fiel wegen der instabilen Lage in der zweiten Intifada komplett aus. Mittlerweile rund 800 Katholiken und Protestanten durchliefen das Studienjahr. Jeder dritte machte später den Doktor der Theologie, immerhin 40 wurden selber Professor, berichtet Negel.

Schavan hört begeisterte Schilderungen - und dann doch eine Kritik.
Anne Schönhütte (24) fasst sich ein Herz und schildert die Auswirkungen des Bolognaprozesses auf eine Entscheidung für Jerusalem. Sie kenne Bonner Kommilitonen, die wegen der kleinteiligen Modul-Konzepte von Bachelor- und Masterstudiengängen und der fehlenden Abstimmung vor einem Wechsel nach Jerusalem zurückschreckten. «Die Politik will doch, dass wir ins Ausland gehen. Und dann so was!» Eine Generation von Studenten werde zum Testobjekt.

Annette Schavan registriert es, fragt nach. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, die die Ministerin begleitet, beschwichtigt: «Wir sind noch nicht fertig, wir müssen nachsteuern.» Und auch Jan-Berend Klein bekommt seine Antwort. Von der rheinischen Heimat spricht die CDU-Politikerin, von der dortigen konfessionellen Prägung ohne übertriebene Enge. «Was ist da eigentlich dran?», habe sie sich gefragt. Und sei bis heute froh, sich dieser Frage wissenschaftlich gestellt zu haben.