Caritaspräsident Neher zu Lorenz Werthmann und der Pflege-Debatte

"Unermütlicher Sozialarbeiter"

Ohne ihn sähe der Deutsche Caritasverband heute anders aus: Lorenz Werthmann, der am 1. Oktober vor 150 Jahren geborene unermüdlicher Sozialarbeiter der Kirche schaffte es, einen Dachverband für alle sozialen Initiativen der katholischen Kirche in Deutschland aufzubauen. Sein Nachfolger an der Spitze des größten deutschen Wohlfahrtsverbandes, Caritaspräsident Peter Neher (53), würdigt Werthmanns Lebenswerk.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

KNA: Herr Prälat Neher, was fasziniert Sie persönlich an Lorenz Werthmann, der 1897 den Caritasverband gründete?

Neher: Er muss ein Mann mit viel Energie gewesen sein, der auch seine Ecken und Kanten hatte. Sehr sympathisch ist mir, dass er mit Leib und Seele seine Vision realisieren wollte, dass Kirche Not sehen und handeln muss. Werthmann war dabei nicht nur der Planer am Schreibtisch, sondern er hat selbst mit angepackt, etwa bei der Sozialarbeit für italienische Wanderarbeiter.

KNA: Was ist das Besondere an Werthmanns Leistung bei der Gründung der Caritas?

Neher: Seine große Leistung war es, die Vielzahl der damals schon bestehenden karitativen Einrichtungen und Initiativen zu einer Sozialbewegung der Kirche zu bündeln. Das war für eine Stärkung der Fachlichkeit unverzichtbar und legte gleichzeitig den Grundstein dafür, dass die Kirche in ihren sozialen Anliegen mehr politisches Gewicht erhielt.

KNA: Aber hört denn die Politik heute im Gewirr der unzähligen Lobbygruppen auf die Stimme der Caritas als kirchlichem Sozialverband?

Neher: Natürlich werden nicht alle unsere Initiativen und unsere Kritik aufgegriffen. Doch wenn wir uns kritisch und konstruktiv in Debatten einbringen, dann werden wir sehr wohl gehört. Zum Beispiel geht der nun regelmäßig von der Bundesregierung vorgelegte Armuts- und Reichtumsbericht mit auf unsere Initiative zurück. Maßgeblich dafür waren beispielsweise die Armutsuntersuchungen der Caritas Anfang der 1990er Jahre. Und auch bei der Pflegereform sind Einwände von unserer Seite durchaus mitberücksichtigt worden.

KNA: Wie kann vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft eine würdige Pflege von immer mehr Hilfsbedürftigen geleistet und vor allem bezahlt werden?

Neher: Durch die jüngsten Gesetzesänderungen bei der Pflege wurden die richtigen Weichen gestellt: So gibt es für die Pflege von Menschen mit Demenz mehr Geld und Angehörige können für ihre private Pflegearbeit leichter eine Auszeit nehmen. Auch die Verbindung von ehrenamtlichen und professionellen Pflegekräften wird strukturell nun besser gefördert.

KNA: Wie wird ein funktionierendes Pflegekonzept der Zukunft aussehen?

Neher: Das lässt sich nicht in zwei Sätzen darstellen. Ein entscheidender Punkt ist aber, dass wir zu stärker vernetzten und besser integrierten Einrichtungen kommen müssen, mit denen sich die Bevölkerung identifiziert. Von den Einrichtungen wird viel erwartet, sie sollen beispielsweise allen zu Pflegenden fürsorgliche menschliche Zuneigung geben. Angesichts dieser hohen Anforderungen überfordert es die dort tätigen Menschen, wenn wir die Heime mit unseren Erwartungen alleine lassen. Wir dürfen die Pflege von Schwerstkranken oder Sterbenden nicht einfach an «Profis» abschieben, sondern sie geht jeden von uns an. Der Umgang mit hilfsbedürftigen alten oder auch behinderten Menschen muss stärker zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema werden.