Religionssoziologen beobachten die Wandlungen im Katholizismus

"Glaube kann cool sein"

Säkularisierung, Individualisierung oder Rückzug ins Private - wo steht der Katholizismus? Gibt es ihn überhaupt noch in der öffentlichen Wahrnehmung, wie tritt er in Erscheinung? Antworten darauf wollten die Mitglieder der Sektion Soziologie der Görres-Gesellschaft in Würzburg auf deren Generalversammlung geben - und weitere Forschungen anregen.

Autor/in:
Christian Wölfel
 (DR)

Privat oder öffentlich - nach den Worten des Freiburger Religionssoziologen Michael Ebertz sind die Grenzen zwischen beiden Kategorien längst verschwommen und daher überholt zur Beschreibung bestimmter Erscheinungsweisen. Im Internet machen unzählige Gläubige ihren ganz persönlichen Glauben öffentlich, sei es auf eigenen Homepages oder in Foren. Das geschieht aber auch in privat finanzierten Kirchenradios oder Fernsehstationen. Der ZDF-Fernsehgottesdienst dagegen ermöglicht höchst private Handlungen am Bildschirm zu Hause. Der Zuschauer kann dabei auch seine Wäsche bügeln - wenn er will.

Nach Ebertz' Beobachtungen ist der öffentliche Spielraum für die Kirche größer geworden. Als Institution nimmt sie an politischen Diskussionen teil, etwa wenn es um den Sonntagsschutz und Ladenöffnungszeiten geht. Und nicht erst bei Weltjugendtagen zeigt sie ihre visuelle Öffentlichkeitskompetenz, sondern auch bei Wallfahrten oder Heiligsprechungen. Die Kirche ist nach den Worten des Wissenschaftlers «der älteste global-player, der die Sozialform des Events als Plattform zur Unternehmenskommunikation nutzt».

"Popkultur mit dem Katholizismus vermählt"
Zu Weltjugendtagen wie im August im australischen Sydney treffen sich internationale profane und religiöse «Jetset-Prominenz». Dazu zählt Ebertz auch die Bischöfe. Und die erleben dann auch gleich, was passiert, wenn sich jugendliche Popkultur mit dem Katholizismus vermählt, wie es der Koblenzer Soziologe Winfried Gebhardt in seiner Studie zum Kölner Großereignis vor zwei Jahren beschreibt. «Glaube kann auch cool sein», so sein Fazit - widerständig und weltoffen zugleich. Da gibt es dann Pieta-Tattoos, aufblasbare Kreuze und Warnwesten mit dem Konterfei des Papstes: Dinge des Alltags, «religiös imprägniert».

Gebhardt warnt davor, dies als «Pilger-Plunder» abzutun. Immerhin sei der auf dem Weltjugendtag gelebte Katholizismus zwar individuell, aber zugleich noch im Rahmen der Institution Kirche. Denn die habe, bei allen Pluralisierungstendenzen, weiter auch eine wichtige öffentliche Funktion für den Katholizismus, wie Ebertz sagt. Er spricht sogar von einer «Verkirchlichung des öffentlichen Katholizismus». Selbstorganisierte Verbände und Laiengremien verlören an Bedeutung, nicht zuletzt durch ihre wachsende finanzielle Abhängigkeit von der verfassten Kirche.

Marienerscheinungen
Einen ganz eigenen Zugang zum Thema wählte der Berliner Soziologe Hubert Knoblauch. Er hat sich Marienerscheinungen näher angeschaut, speziell die umstrittenen Phänomene in Marpingen im Saarland. Anhand von Bildern, Texten und Videos stellte er fest, es gebe eine «Mediatisierung» der behaupteten Erscheinungen. So würden die Worte der vermeintlichen «Seherinnen» von Videokameras festgehalten. Doch nicht nur das. Die Verantwortlichen griffen in das Ereignis der Erscheinung selbst bewusst ein zum Zwecke seiner mediengerechten Vermarktung. Die Seherinnen würden an einen besser sichtbaren Platz geschoben, den Blick nicht in Richtung einer etwaigen Erscheinung, sondern in die Kameras gerichtet.

Dass sie gleichzeitig unterschiedliche Worte hörten, stört das Publikum nicht weiter, wie Knoblauch konstatierte. Die Menschen kämen wohl, um eine spirituelle Erfahrung zu machen, eine ganz subjektive und persönliche. Aber die Privatisierung des Katholizismus vollzieht sich mitten in der Öffentlichkeit.