Die Kirchen werben für mehr Tierschutz

"An Erntedank die Tiere nicht vergessen"

Am Erntedankfest wird an den engen Zusammenhang von Mensch und Natur erinnert. Traditionell sind die Altäre zum Abschluss der Ernte mit Feldfrüchten festlich geschmückt. Auch der Tierschutz nimmt in den Kirchen zunehmend einen breiteren Raum ein. Immer mehr Christen wehren sich dagegen, dass Tiere wie seelenlose und verwertbare Objekte für die Nahrung oder zum Teil unnötige Tierversuche behandelt werden.

Autor/in:
Stephan Cezanne
 (DR)

"Wir haben als Christen versagt, weil wir in unserem Glauben die Tiere vergessen haben", heißt es bereits in dem Ende der 80er Jahre von dem hessischen Pfarrerehepaar Christa und Michael Blanke mitverfassten "Glauberger Schuldbekenntnis". Gerade an Erntedank wird in vielen Gemeinden für einen anderen Zugang zu unseren "nächsten Verwandten" geworben, die in Form von durchschnittlich rund 40 Kilo Schweinefleisch, acht Kilo Rind- und Kalbfleisch oder zehn Kilo Geflügel pro Jahr auf jedem deutschen Teller landen.

Der Fleischkonsum ist zwar in den vergangenen Jahren gesunken - auch als Reaktion auf Lebensmittelkrisen der vergangenen Jahre wie Schweinepest und BSE. Dennoch werde in den Industriestaaten nach wie vor sehr viel Fleisch gegessen, kritisierte der Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hans Diefenbacher. Die Entscheidung, Fleisch zu essen, solle gut überlegt sein und bewusst getroffen werden. Der Wirtschaftswissenschaftler, der an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg lehrt und arbeitet, sprach sich dafür aus, dass die Kirchen mehr für das Mitgefühl gegenüber Tieren werben.

Christen müssen nicht Vegetarier werden
Dennoch müssen nicht alle Christen Vegetarier werden: "Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bild geschaffen hat. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen", heißt es im Weltkatechismus der römisch-katholischen Kirche. Dort steht zugleich:"Es widerspricht der Würde des Menschen, Tiere nutzlos leiden zu lassen und zu töten."

Zu Theorien, die eine völlige rechtliche Gleichstellung von Mensch und Tier anstreben, äußerte sich der Marburger Sozialethiker Peter Dabrock skeptisch. "Tiere können zwar Träger von Rechten sein, aber nie von Pflichten", sagt der evangelische Theologieprofessor. Hier bestehe ein bleibendes Ungleichgewicht. Der Ethiker plädiert daher für einen "Pathozentrismus", der höherstehenden Tieren das Empfinden von Leid (griechisch: pathos) und Freude zugesteht. Ethisch korrektes Handeln den Tieren gegenüber müsse dies achten. Der Grundsatz "Gewaltminimierung gegenüber aller Kreatur" sollte daher Hauptziel im Verhältnis des Menschen zu den Tieren sein.

"Im Verhältnis zu den Tieren geht es jedoch nicht allein um Barmherzigkeit und Humanität, sondern auch um Gerechtigkeit", unterstreicht ein Grundlagentext der evangelischen Kirche von 1991. Die Forderung nach Gerechtigkeit ziele dabei nicht darauf, Tiere wie Menschen zu behandeln. Gerechtigkeit im Blick auf die Tiere bedeute, "sie tiergerecht, insbesondere artgerecht zu behandeln".

"Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs"
Nicht erst der Theologe - und Vegetarier - Albert Schweitzer forderte "Ehrfurcht vor dem Leben". Zwar wurde der biblische Herrschaftsauftrag "macht euch die Erde untertan" oft missbraucht. Christliche Tierschutzethik hat ihre Wurzeln jedoch bereits im Alten Testament. Dort heißt es: "Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs; aber das Herz des Gottlosen ist unbarmherzig." (Sprüche 12,10). Zudem wird im hebräischen Teil der Bibel in die große Ruhe am Sabbat das Vieh mit einbezogen.

"Wir lieben die Tiere, lieben genauso das Schnitzel oder Steak und wollen das eine mit dem anderen aber nicht in Verbindung bringen, weil wir noch mehr das Geld lieben, das wir durch 'superbillig' eingespart haben", gibt der EKD-Agrarbeauftragte Clemens Dirscherl (Waldenburg) zu bedenken. Der Tierschutz gerate angesichts der Massen von aufgetürmten Fleisch- und Wurstbergen im Supermarkt und den Superbilligangeboten bei Milch oder Butter allzu oft in Vergessenheit, fügt er hinzu.

Der kirchliche Agrarexperte warnt zugleich vor dem Verlust des Wissens um die Herkunft der Nahrung und einer "Abfütterung mit Massenware". Deshalb sei Erntedank "ein Fest der Besinnung auch wieder auf den Geschmackssinn, der untrügliches Zeichen eines verantwortlichen Umgangs mit der Schöpfung ist." Einige christliche Kirchen empfehlen vor diesem Hintergrund inzwischen, bei kirchlichen Gemeindefesten den Fleisch- und Wurstkonsum zu überdenken und Fleisch, wenn überhaupt, nur aus artgerechter Tierhaltung zu beziehen.