Philosoph weist US-Regierung Verantwortung für Finanzkrise zu

Zusammenbruch vorhersehbar

Der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin sieht die Hauptverantwortung für die internationale Finanzkrise bei den Regierungen von England, Irland und den USA. Bei Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) hätten sie Regeln "blockiert", die ein unverantwortliches Gewinnstreben im Finanzsektor gebremst hätten, sagte der Ex-Kulturstaatsminister am Dienstagabend in Aachen. Ohne solche Regeln seien am Finanzmarkt "gruselige" Renditeraten von 25 Prozent möglich geworden. Der Durchschnitt im Wirtschaftssektor betrage nur 5 bis 7 Prozent.

 (DR)

«Es war klar, dass dies über kurz oder lang zusammenbrechen musste», sagte Nida-Rümelin. «Ich bin mir sicher, dass die Intelligenten unter den Finanzmanagern das auch wussten.» Der Philosoph wertete die Finanzkrise als Beleg dafür, dass eine Gesellschaft die Interessen Einzelner begrenzen müsse, sobald das gedeihliche Zusammenleben aller gefährdet sei. In diesem Sinne sei eine Besinnung auf den Humanismus nötig. Die Menschlichkeit müsse über das rücksichtslose Streben Einzelner gestellt werden. Dazu würden Regelsysteme gebraucht, die auch Gruppen wie die Finanzmanager einhalten müssten.

Die Dominanz der Ökonomie wird nach Einschätzung von Nida-Rümelin zur großen Bedrohung für den Humanismus. Alle Wertvorstellungen würden derzeit auf das Ökonomische reduziert. Das «zarte Pflänzchen» der humanistischen Geisteshaltung gerate in Gefahr, «zertrampelt» zu werden. Es biete sich aber gerade als «Leitkultur» über alle Weltanschauungen hinweg an, weil es den Einzelnen schütze und ihn zugleich zur Verantwortung für sein Handeln ziehe.

Im Finanzsektor sei dieses Prinzip außer Kraft gesetzt worden, kritisierte der Philosoph. Die Banken hätten Kredite von Menschen weiterverkauft, mit denen die Käuferbanken gar nichts mehr zu tun gehabt hätten. «So ist die Verantwortung für die Geschäfte nicht mehr zuzuordnen», so Nida-Rümelin. Er sprach bei einer Veranstaltung der Bischöflichen Akademie in Aachen. 2006 hatte er die Bücher «Leitkultur Humanismus» und «Demokratie und Wahrheit» im Münchner C.H. Beck Verlag vorgelegt. Zur Vollendung der Trilogie kündigte er einen weiteren Band zum Thema Verantwortung an.