Polizisten müssen Bischof Kräutler rund um die Uhr bewachen

"Der Papst weiß auch von meiner Bedrohung"

Wegen seines Einsatzes für die Rechte der Armen, vor allem der Ureinwohner im Amazonasbecken, wird Bischof Erwin Kräutler in Brasilien immer wieder mit dem Tod bedroht. Seit zwei Jahren bewachen Polizisten den österreichischen Ordensmann rund um die Uhr. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erzählte der Bischof am Dienstag in Traunstein, warum er so gefährlich lebt.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, bereits 1987 wurden Sie bei einem mysteriösen Autounfall schwer verletzt. Inzwischen ist ein Kopfgeld auf Sie ausgesetzt. Warum ist Ihr Engagement so gefährlich?
Kräutler: Wir haben in Brasilien ein großes Problem mit unserem Justizsystem und der Polizei, die bestechlich ist. Wenn sie nicht ermittelt, dann gehen die Betroffenen eben zum Bischof, weil er für die Behörden und Autoritäten glaubwürdig ist. Nach Fällen von Missbrauch an Mädchen im Jahr 2006 zum Beispiel habe ich ans Menschenrechtsministerium und an die Polizei geschrieben. Die Polizei sagt dann natürlich, wer das angezeigt hat, wenn danach gefragt wird. Und dann gingen sie auf mich los. Das ist einer der Gründe, weswegen ich Polizeischutz brauche.

KNA: Auch Ihr politisches Engagement wird Ihnen verübelt ...
Kräutler: Deswegen werde ich schon länger bedroht. 1987 war die Verfassungsgebende Versammlung in Brasilien. Als Vorsitzender des Indianermissionsrates der Bischofskonferenz habe ich mich damals dafür eingesetzt, dass die Rechte der Indianer auch in der Verfassung verankert werden. Das habe ich hingekriegt. Aber die Indianer sitzen in Gebieten mit Bodenschätzen, die die Großgrundbesitzer beschlagnahmen wollen. Das wurde nun durch die Verfassung sehr erschwert und so kam es wieder zum Konflikt. Ich wurde eine ganze Woche in einer der größten Tageszeitungen Brasiliens verleumdet. Die Lage spitzte sich dann später weiter zu, als eine meiner Mitarbeiterinnen, Schwester Dorothy Stang, im Februar 2005 ermordet wurde.

KNA: Die Öffentlichkeit hat erwartet, dass sich mit der Präsidentschaft Lulas das Blatt für die Besitzlosen wendet.
Kräutler: Schwester Dorothy Stang hat sich gerade für die Kleinbauern eingesetzt, die aufgrund eines Regierungsbeschlusses das Land nachhaltig bewirtschaften sollten, das Großgrundbesitzer für sich beanspruchten. Sie arbeitete also darauf hin, dass Regierungsbeschlüsse überhaupt wirksam umgesetzt wurden. Das Problem ist in Brasilien, dass Großgrundbesitzer Riesengebiete einfach beschlagnahmen und die zuständigen Behörden schmieren. Die Gesetze sind da, aber niemand schaut auf die Umsetzung.

KNA: Woher nehmen Sie die Kraft, zu bleiben und weiterzumachen?
Kräutler: Ich bin nicht allein. Die Bischofskonferenz steht hinter mir und der Papst weiß auch von meiner Bedrohung. Es geht aber um viel mehr, um ein Volk, dem ich bereits seit 1965 verbunden bin.
Erst letzten Sonntag las ich bei einem Gemeindebesuch auf einem
Plakat: «Dein Leid ist auch unser Leid, Bischof Erwin, wir lieben Dich.» Wie käme ich dazu, einem Volk, das so am Bischof hängt, den Rücken zuzukehren, wenn nur einzelne Personen gegen mich sind? Ich glaube daran, dass das, was ich mache, mein Auftrag und mein Weg ist, auch wenn es nicht so einfach ist, 24 Stunden am Tag unter Polizeischutz zu stehen und keinen persönlichen Freiraum mehr zu haben.

KNA: Was bedeutet Mission für Sie?
Kräutler: Ich zitiere dazu immer ein Wort aus dem Missionsdekret des Zweiten Vaticanums: Die Kirche hat den Auftrag, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen. Das heißt, Glaube und Leben kann ich nicht voneinander trennen. Wie schaut denn das in den Augen der Völker aus, deren kulturelles und physisches Überleben bedroht ist, dort nur von der Liebe Gottes zu reden und dann zu sagen, der Rest geht mich nichts an? Das wäre Verrat.

KNA: Es gibt Statistiken, nach denen der Anteil der Katholiken in Brasilien jährlich um ein Prozent abnimmt. Woran liegt das?
Kräutler: Die Frage ist doch: Waren diese Menschen überhaupt in der katholischen Kirche beheimatet oder nur getauft? Eines Tages kommt dann ein wortmächtiger Pastor einer Gemeinschaft daher, der sie sich dann anschließen. Die Prediger nützen auch die Situation der innerbrasilianischen Migranten aus, die entwurzelt sind und nach einer Gemeinschaft suchen. Wo aber die Basisgemeinden funktionieren, gibt es kaum einen Übertritt.

KNA: Manche kritisieren die Basisgemeinden und behaupten, ihr soziales Engagement gehe zu Lasten der Verkündigung. Was antworten Sie?
Kräutler: Meine Diözese Xingu ist eine Diözese von Basisgemeinden, etwa 800 an der Zahl. Ich bin absolut nicht der Meinung, dass da die Verkündigung vernachlässigt wurde - im Gegenteil. Ich kann das klar beweisen. Ohne die Basisgemeinden gäbe es keine Kirche am Xingu. Und diese leben auch die missionarische und die kontemplative, die betende Dimension. Natürlich muss die Verkündigung im sozialen Bereich Folgen haben.

KNA: Eine globalisierte Solidarität haben Sie verschiedentlich gefordert. Was wünschen Sie sich von den Menschen hierzulande?
Kräutler: Von heute auf morgen kann der Einzelne nicht das Weltwirtschaftssystem ändern. Wenn ich aber ein offenes Herz und offene Hände habe, kann ich meinen Beitrag leisten, damit es den Brüdern und Schwestern im Süden weniger schlecht geht. Das ist ein Auftrag.