Fahndung nach den Franco-Opfern erregt die Gemüter in Spanien

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" oder "normale Verbrechen"?

Mit Begeisterung feiern in Spanien Vereinigungen von Bürgerkriegsopfern den Entschluss von Ermittlungsrichter Baltasar Garzon, das Schicksal Hunderttausender Verschwundener aus dem Bürgerkrieg (1936-1939) und der anschließenden Franco-Diktatur zu untersuchen. Der Plan stößt aber nicht überall auf Zustimmung, zum Beispiel bei der Kirche.

Autor/in:
Manuel Meyer
 (DR)

Konservative Kreise, Parteien und auch zahlreiche Richter sind nicht mit Garzons Ermittlungen einverstanden. Auch die Kirche wirft dem Richter vor, ohne Not «alte Wunden zu öffnen» und die Gesellschaft erneut zu spalten.

Die Kritik richtet sich weniger auf die Suche nach den in Massengräbern verscharrten Leichen als vielmehr auf die juristischen Folgen. Garzons Untersuchungen ziehen nämlich eine Strafuntersuchung nach sich, die in Spanien ein Tabu brechen. Bislang galt ein ungeschriebener «Pakt des Schweigens», der nach Francos Tod 1975 den gewaltlosen Übergang zur Demokratie ermöglichen sollte - und noch bis vor wenigen Jahren auch von allen politischen Parteien akzeptiert wurde. 1977 wurden jene, die in der Bürgerkriegszeit an Erschießungen teilnahmen, per Generalamnestie begnadigt. Das betraf Täter auf beiden Seiten: Republikaner und Anhänger des Putsch-Generals Francisco Franco.

Garzons Untersuchungen, so befürchten Kritiker, könnten sich allerdings hauptsächlich auf die Opfer auf republikanischer Seite konzentrieren, da die meisten Opfer auf franquistischer Seite, der Siegerseite des Bürgerkriegs, von Franco bereits bestattet und geehrt wurden. Experten gehen von weit mehr als 200.000 republikanischen Opfern in anonymen Massengräbern aus. Zwar beschloss das Parlament im vergangenen Dezember auf Initiative der sozialistischen Regierung (PSOE) erstmals ein Gesetz, um die Vergangenheit aufzuarbeiten und den Hinterbliebenen bei der Suche ihrer Angehörigen zu unterstützen. Seitdem ist allerdings wenig passiert.

Die Diskussion, die Garzon mit seinen Ermittlungen entfacht, hat ihren Ursprung teilweise aber auch in der Person des Richters
selbst: berühmt und geliebt, gefürchtet und verwünscht. Viele sehen in Garzons Vorstoß nur ein neues Kapitel in seinem Verlangen, im Mittelpunkt der Medien zu stehen - und womöglich für den Friedensnobelpreis nominiert zu werden.

Selbst Richter-Kollegen kritisieren, der Fall sei Aufgabe des Staates und nicht des Ermittlungsrichters. Zu Wochenbeginn kündigte die Staatsanwaltschaft an, Garzons Vorstoß stoppen zu wollen.
Staatsanwalt Javier Zaragoza erklärte, bei den damaligen Ermordungen handele es sich im Prinzip um «normale Verbrechen»; daher sei Garzon nicht zuständig.

Dieser Garzon selbst argumentiert, dass es sich um «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» handele. Somit dürfe er als Ermittlungsrichter die Morde gemäß internationalem Recht untersuchen - wie er es in den vergangenen Jahren bereits in Chile und Argentinien machte. Die Staatsanwaltschaft bestreitet dies. Die Gerichtsbarkeit für «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» basiere auf den Nürnberger Gesetzen von 1945 - und die Verbrechen im Spanischen Bürgerkrieg hätten vor dieser Zeit stattgefunden.

Nun muss in den kommenden Wochen das Oberste Gericht entscheiden, ob Garzon fortfahren darf. Sollte er «grünes Licht» bekommen, will auch die Kirche den Richter bei der Suche nach den Verstorbenen unterstützen und die Kirchenbücher zur Verfügung stellen, kündigte ein Sprecher der Spanischen Bischofskonferenz an.

Der sozialistische Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero jedenfalls steht «ohne Wenn und Aber» hinter Garzon. «Ich kann nicht verstehen», sagte er, «wie sich ein Land spalten sollte, nur weil Menschen ihre toten Angehörigen suchen. Wie kann man Hinterbliebenen das Recht verweigern zu wissen, wo ihre Toten begraben wurden und auf welche Art und Weise sie umgekommen sind?»