Kirchen mahnen angesichts der Wirtschaftskrise zu Solidarität

Moralischen Gleichgewichtssinn verloren

Die weltweite Wirtschaftskrise und ihre Folgen haben im Mittelpunkt zahlreicher kirchlicher Botschaften zum Jahreswechsel gestanden. Die beiden großen Kirchen in Deutschland prangerten wie schon zu Weihnachten Egoismus und ein hemmungsloses Profitdenken an. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, beklagte in Freiburg, vielen Menschen in Deutschland scheine der "moralische Gleichgewichtssinn verlorenen gegangen zu sein".

Erzbischof Zollitsch: Moralischen Gleichgewichtssinn verloren (KNA)
Erzbischof Zollitsch: Moralischen Gleichgewichtssinn verloren / ( KNA )

Nicht nur die Finanz- und Bankenkrise bringe zum Ausdruck, dass nicht wenige an «ethischen Schwindelanfällen» litten, so Zollitsch. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Berliner Bischof Wolfgang Huber, warnte vor einer Verabsolutierung von Reichtum und Besitz. «Wettbewerb, Wachstum und Gewinn sind wirtschaftliche Instrumente; eine verlässliche Lebensgewissheit stiften sie nicht.»

Kritik an der «Überflussgesellschaft» übte der Mainzer Kardinal Karl Lehmann. Auch heute noch werde eine ständige Steigerung des Konsums als Heilmittel aus der Krise angepriesen, sagte Lehmann an Silvester in einer Jahresschlussandacht im Mainzer Dom. Mancher Umgang mit dem Reichtum mache jedoch die Menschen nicht zufrieden, sondern unersättlich, warnte er.

Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen vermisste ein fehlendes Unrechtsbewusstsein bei den Verantwortlichen der Wirtschaftskrise.
Es werde so getan, «als seien die Milliardenverluste ein Naturereignis, das über uns hereingebrochen ist». Aber nicht Verdrängen, sondern Bekennen führe zur Kurskorrektur. Ähnlich äußerte sich der Kölner Kardinal Joachim Meisner. Er beklagte, dass die Wirtschaftskrise besonders die armen Völker betroffen habe, obwohl diese schuldlos an dem Desaster seien. Habsucht greife überall dort um sich, wo die Bindung an Gott verloren gehe, sagte Meisner im Kölner Dom.

In München hob Erzbischof Reinhard Marx die verändernde Kraft der Kirche hervor. Sie könne daran mitwirken, die Wirtschaft so zu gestalten, dass sie wirklich dem Menschen diene. Dadurch werde die Gesellschaft Schritt für Schritt gerechter. Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, unterstrich angesichts der aktuellen Finanzkrise die Bedeutung der Zehn Gebote. Gefragt seien jetzt Persönlichkeiten mit Moral, die «in Verantwortung vor Gott und den Menschen» handelten, sagte Fürst in Stuttgart.

Eine neue «Bereitschaft zur Barmherzigkeit» forderte der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Die Finanzkrise und eine damit einhergehende «Entzauberung von Gewinn um jeden Preis» werfe die Frage nach der Bedeutung von Gerechtigkeit neu auf, sagte er bei einem Gottesdienst am Silvesterabend in Frankfurt. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick forderte eine Rückbesinnung auf Tugenden.
Nur mit ihnen könnten die Krisen der Zeit und der Zukunft gemeistert werden, sagte Schick in seiner Silvesteransprache.