Vor 200 Jahren wurde Edgar Allan Poe geboren

Ein gejagter Literat

Der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe gilt heute als Wegbereiter der fantastischen Literatur und "Erfinder" der Kriminalgeschichte. Vor 200 Jahren wurde der Romantiker in Boston geboren. Erst lange nach seiner Heroisierung in Europa fand er seinen Platz auch in der amerikanischen Literaturgeschichte.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Thematisch wie literarisch hat er Neuland betreten, und so erging es ihm nach Art der Neuerer: Die Meinungen über ihn klaffen weit auseinander. Sein recht ungnädiger Nachlassverwalter etwa, der Geistliche Rufus Griswold, der ein Jahr nach seinem Tod die erste Gesamtausgabe seiner Schriften herausgab, nannte ihn ein "satanisches Beispiel und eine Warnung, bar jeden Vertrauens in Mann oder Frau, ohne jedes moralische Empfinden und mit nur wenig oder ganz ohne jegliche Ehrbarkeit". Baudelaire dagegen, der seine sensiblen Gedichte übersetzte und in Frankreich bekanntmachte, hielt ihn für einen "amerikanischen Byron, verirrt in einer bösen Welt".
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Erst lange nach seiner Heroisierung in Europa fand er seinen Platz auch in der amerikanischen Literaturgeschichte. Seine psychologischen Motive - und seine Traumata - sind trotz allerlei Spekulationen im Dunklen geblieben.

Die ersten literarischen Veröffentlichungen bleiben unbeachtet
Mit kaum zwei Jahren verwaist, wuchs Edgar Poe bei dem wohlhabenden Kaufmann John Allan auf. Der ließ ihm eine gute Erziehung, darunter fünf Jahre in England, zukommen - allerdings keine menschliche Wärme. Mit 17 versuchte sich Poe an der Jefferson University in Charlottesville, von der ihn sein Ziehvater jedoch schon im Jahr darauf entfernte, weil der kurz gehaltene Edgar Spielschulden gemacht hatte; dieser Eklat führte zum Bruch zwischen Allan und Poe.

Die ersten literarischen Veröffentlichungen 1828 und 1829 blieben weitgehend unbeachtet, und auch als Kadett der berühmten Militärakademie West Point war dem jungen Dichter kein Erfolg beschieden. Hartnäckig betrieb er seine eigene Entlassung, die 1831 erfolgte - wegen "Liederlichkeit" und "Aufsässigkeit".

Verfolgt von häufigen Depressionen, Selbstmordgedanken und periodischer Trunksucht flüchtete sich Poe auf der Suche nach einer Familie in die Obhut seiner Tante nach Richmond. Dort heiratete er 1836 seine erst 13-jährige Cousine Virginia Clemm und schlug sich als Journalist und Schriftsteller durch. Nach seiner Entlassung wegen Trunkenheit zogen die beiden in die Nähe von New York und lebten - trotz allmählich steigender Bekanntheit seiner Werke - jahrelang von der Hand in den Mund. Obwohl er buchstäblich hungerte, um sie zu retten, konnte Poe nicht verhindern, dass Virginia im Januar 1847 an Tuberkulose starb. Er verließ New York und suchte Trost in mehreren kurzen Liebschaften.

Richtungsweisende Detektiv-Erzählungen
Poes Werk ist in weiten Teilen so albtraumartig wie sein Leben.  Seine bekanntesten Werke sind richtungsweisende Detektiv-Erzählungen wie "Der Doppelmord in der Rue Morgue" (1841) und "Der Goldkäfer"
(1843) oder Schauergeschichten wie "Der Untergang des Hauses Usher" (1839), "Das verräterische Herz" und "Die Grube und das Pendel" (1843). Die Mixtur seiner Erzählungen ist bizarr und wirkungsvoll: romantisch, verletzlich und unheimlich, mit fantastischen Träumen, mystischen Visionen und okkulten Phänomenen. Doppelgängertum, Engel und Geistwesen, Grauen und Inquisition, Wiedergeburt und Wahnsinn stehen auf der einen, kaltes Kalkül, perverse Logik und nüchternste Situationsanalyse auf der anderen Seite. Poes Themen kreisen um den frühen Tod der Geliebten, um Abgrund, Reue, Rache, Mord. Besessen von der Vorstellung eines Schreckensreiches zwischen Leben und Tod, lotet Poe in beklemmenden Bildern die unbestimmten Ängste des menschlichen Unterbewusstseins aus.

Die Umstände seines eigenen Todes am 7. Oktober 1849 wurden nie ganz geklärt. Nach einer neuen Verlobung und einem glücklichen Sommer mit Freunden habe er sich mit Todesahnungen nach Baltimore begeben, so wird berichtet. Dort sei er von einer Feier zu einem mehrtägigen Alkoholexzess verschwunden und habe kurz darauf einen Herzinfarkt erlitten. Reißerischeren Stimmen zufolge verbrachte er seine letzten Tage, von unbändiger Trauer, Alkoholismus, Überarbeitung und Armut gezeichnet, heruntergekommen und in geistiger Umnachtung. Der größte amerikanische Dichter der Romantik wurde nur 40 Jahre alt. Die düsteren Fantasien seiner Schauergeschichten spiegeln die Schatten eines entnervten Geistes.