Wenn Jimmy Johnson durch Jerusalem führt, dann stehen weder die Klagemauer noch die Grabeskirche, auch nicht der Felsendom oder der Ölberg auf dem Programm. Seine Sehenswürdigkeiten sind Baustellen, Trümmerhaufen und Checkpoints. Der 31-jährige Amerikaner, der seit vier Jahren in Israel lebt, findet sogar Mülleimer bemerkenswert: «Davon gibt es 655 in Ostjerusalem und über 11.000 in Westjerusalem», sagt er, um die ungleiche Entwicklung in der geteilten Stadt zu illustrieren. Und fügt noch hinzu, dass Palästinenser 35 Prozent der Bevölkerung von Jerusalem ausmachten, aber nur rund zehn Prozent des kommunalen Haushalts für sie aufgewendet würden.
Auf großen bunten Karten zeigt das Mitglied des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD), wie sich ein Ring aus israelischen Siedlungen um Ostjerusalem schließt. Er führt die Besucher an einen Ort, an dem vor ein paar Jahren eine neue Siedlung begonnen wurde: Ma aleh Hazeitim, nahe der Altstadt gelegen. Ein paar schmucke mehrstöckige Häuser sind schon fertig, andere noch im Bau.
Alles steht rund sechs Meter tiefer als die umgebenden Gebäude.
Johnson weiß warum: Das ist ein Weg, die Regelungen zur Dachhöhe zu umgehen und mehr Menschen Wohnraum zu bieten.« Ein Parkdeck ist in die Wohnanlage integriert, Kontakt zwischen den rund 300 hier lebenden jüdischen Siedlern und ihren palästinensischen Nachbarn scheint es nicht zu geben.
Nur selten führen Johnson oder seine Kollegen von ICAHD Israelis durch die Stadt: »Auf fünfzehn Touren in englischer oder spanischer Sprache kommt eine einzige auf Hebräisch«, schätzt Johnson. Seine Organisation habe gute Beziehungen in alle Welt und zu ausländischen Botschaftern in Israel - aber es sei schwierig, eine Veranstaltung an einer israelischen Universität abzuhalten. »Hier will das einfach niemand hören.« Richtigen Ärger bekommt er wegen seines Engagements allerdings selten. »Meine Freunde sagen einfach: Ach, das ist halt Jimmys Ding. Nur wenn sie betrunken sind, nennen sie mich manchmal Verräter.«
»Verräter«, dieses Schimpfwort kennt auch Miri Weingarten von der israelischen Organisation Ärzte für Menschenrechte (PHR). »Das hören wir allerdings meist nur auf Demonstrationen, wenn Passanten uns beschimpfen.« Viel schwieriger sei die Auseinandersetzung mit Leuten, die sie schon lange kenne und die sich für fortschrittlich hielten. »Sie greifen mich nicht an, sondern versuchen ständig, Israels Politik als richtig darzustellen und mich unglaubwürdig zu machen. Diese Unterhaltungen drehen sich im Kreis.«
Eines musste die 34-Jährige besonders während des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen immer und immer wieder betonen: »Nur weil ich Israel kritisiere, heißt das nicht, dass ich die Hamas toll finde. Auch die Hamas verletzt Menschenrechte.« Die Bombenangriffe auf Gaza findet sie dennoch nicht gerechtfertigt. Umfragen zufolge teilen nur rund zehn Prozent der israelischen Bevölkerung diese Meinung.
Weingarten organisiert mit den Ärzten für Menschenrechte unter anderem mobile Kliniken im Westjordanland. Immer wieder stoßen neue Freiwillige dazu, junge Ärzte oder Medizinstudenten aus Israel: »Manche Leute sagen uns, dass sei die einzige Gelegenheit für sie, Palästinensern zu begegnen.« Denn kaum ein Israeli begebe sich auf eigene Faust ins Westjordanland und nur sehr wenige Palästinenser kämen noch zum Arbeiten nach Israel.
Tsafrir Cohen von der Frankfurter Hilfsorganisation medico international, die die Arbeit der Ärzte für Menschenrechte unterstützt, weiß jedoch, dass einige der Freiwilligen nicht lange bei den mobilen Kliniken bleiben. Wenn sie nur mit einem humanitären Anspruch kämen, würden sie bald merken, dass eigentlich die politischen Rahmenbedingungen verändert werden müssten. »Doch manche erkennen gleichzeitig, dass der Preis für dieses Wissen für sie persönlich zu hoch ist. Es würde bedeuten, dass sie mit der gängigen Geschichtsschreibung brechen und plötzlich ziemlich einsam dastünden.« Viele würden daher einfach verschwinden und sich nie wieder bei den Ärzten für Menschenrechte melden.
Weingarten wird das bald nicht mehr erfahren. Sie verlässt in wenigen Wochen das Land und zieht aus persönlichen Gründen nach London. Glücklich ist sie damit nicht. Aber sie weiß auch nicht, wie lange sie es in Israel noch ausgehalten hätte: »Hier ist immer weniger Platz für mich."
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