Ein langer Konflikt um Liturgie und Lehre

Der Vatikan und die Traditionalisten

Papst Benedikt XVI. hat die Exkommunikation gegen die Bischöfe der traditionalistischen "Priesterbruderschaft St. Pius X." zurückgenommen. Damit rückt die Überwindung der seit 1988 dauernden Kirchenspaltung in greifbare Nähe. Die meisten Priester und Laien der weltweiten Bewegung, die sich um den verstorbenen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) gebildet hat, können nun bald wieder in die katholische Kirche eingegliedert werden. Die Katholische Nachrichten-Agentur dokumentiert die wichtigsten Stationen des Konflikts.

 (DR)

1962-1965: In Rom tagt das Zweite Vatikanische Konzil, das im Sinne von Papst Johannes XXIII. und Paul VI. eine Öffnung der Kirche gegenüber der Welt vollzieht. Konservative Kreise stehen den Reformen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Auf Kritik stoßen unter anderem die ökumenischen Initiativen, die Erklärung zur Religionsfreiheit sowie Neuerungen in der Liturgie, etwa die Einführung der Muttersprache.

1968-1970: Aus Protest gegen den "modernistischen" Kurs der Kirche tritt der Konzilsteilnehmer und ehemalige Erzbischof von Dakar, Marcel Lefebvre, als Ordensoberer der "Väter vom Heiligen Geist"
(Spiritaner) zurück. Im folgenden Jahr gründet er im schweizerischen Fribourg die "Confraternitas Pius X". Die Priesterbruderschaft wird am 1. November 1970 kirchlich anerkannt. In den Folgejahren tritt der antikonziliare Charakter des nach Econe im Kanton Wallis umgezogenen "Seminars des wahren Glaubens" offen zu Tage. Die Lefebvrianer werfen der römisch-katholischen Kirche vor, mit dem Konzil die Tradition der Kirche zerstört zu haben.

1975: Rom entzieht der Gemeinschaft die kirchenrechtliche Legitimation. Im Jahr darauf enthebt Papst Paul VI. Lefebvre seiner bischöflichen Rechte. Der suspendierte Erzbischof akzeptiert dies nicht und nimmt weiter Priesterweihen vor.

1984: Papst Johannes Paul II. gestattet unter bestimmten Bedingungen die Wiederverwendung der 1962 unter Johannes XXIII. maßgeblich abgewandelten "tridentinischen" Messe nach dem letzten vorkonziliaren Messbuch. Dies werten Beobachter als Entgegenkommen gegenüber den Lefebvrianern.

1988: Am 30. Juni weiht Lefebvre in Gegenwart von Bischof Antonio de Castro Mayer gegen päpstliches Verbot vier Priester seiner Bruderschaft zu Bischöfen. Dadurch zieht er sich und den Geweihten automatisch die Exkommunikation zu, mithin den Ausschluss aus der aktiven kirchlichen Gemeinschaft. Die Exkommunikation erfolgt durch ein Dekret der Bischofskongregation.
Kurz zuvor war Lefebvre noch zum Einlenken bereit gewesen: Er unterzeichnete eine mit Kardinal Ratzinger ausgehandelte Übereinkunft, die er jedoch später zurückzog. Die Lefebvrianer betrachten die am 1. Juli ausgesprochene Exkommunikation als unwirksam und sehen sich weiterhin als Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. Sie sehen ihre Mission darin, die Kirche in Liturgie und Lehre auf den rechten Weg zurückzubringen.

Der Papst gründet die Kommission "Ecclesia Dei" für den Dialog mit den Traditionalisten. Noch im selben Jahr wird ein Teil der Traditionalisten als "Priesterbruderschaft Sankt Petrus" wieder in die katholische Kirche integriert. Diese hatte der Vatikan gegründet, um traditionalistischen Katholiken eine Heimat zu bieten.
Die Priester der Petrus-Bruderschaft erhalten die Sondererlaubnis, die Messe im 1962 modifizierten "tridentinischen" Ritus zu feiern.

1991: Tod Lefebvres (25. März). Sein Nachfolger als Generaloberer der Priesterbruderschaft wird der von ihm geweihte Schweizer Bischof Bernard Fellay, den Beobachter für eher dialogbereit halten.

2000: Anfang August ziehen rund 5.000 Anhänger der Priesterbruderschaft unter der Führung Fellays durch die Heilige Pforte in den Petersdom ein. Die Aufsehen erregende Pilgerfahrt im Heiligen Jahr ist unbestätigten Berichten zufolge mit dem Vatikan abgestimmt.

2002: Im brasilianischen Campos dos Goytacazes wird eine Gruppe von rund 28.000 Lefebvre-Anhängern mit 26 Priestern wieder in die Kirche aufgenommen. Deren Bischof wird Administrator einer neu geschaffenen Apostolischen Administration und unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt.

2005: Fellay begrüßt die Papstwahl des vormaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, als "Hoffnungsschimmer". Dieser habe einige Aspekte der gegenwärtigen Kirchenkrise benannt. Ende August empfängt Benedikt XVI. Fellay in Privataudienz. Bei dem Treffen zeigte sich laut Vatikan der "Wunsch, zu einer vollkommenen Gemeinschaft zu gelangen".

2006: Im Erzbistum Bordeaux war eine Kirche über Jahre von Traditionalisten besetzt. Dort gab es 2006 eine Einigung: An der Spitze stand bei den Traditionalisten der Geistliche Philippe Laguerie, der wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Generaloberen Bernard Fellay aus der Pius-Bruderschaft ausgeschlossen wurde. Lagueries "Institut vom Guten Hirten" erkannte der Vatikan im September 2006 an - unter der Voraussetzung, dass seine Gruppe das päpstliche Lehramt und die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils anerkannte.

Die Angehörigen des Instituts haben sich zur Treue gegenüber dem „unfehlbaren Lehramt der Kirche", d. h. dem römischen Papst und den Ökumenischen Konzilien, verpflichtet, wollen jedoch „ernsthafte und konstruktive Kritik" an den Entscheidungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und deren Umsetzung vortragen.

Juli 2007: Benedikt XVI. erlaubt in dem Erlass "Summorum pontificum", dass künftig in allen Bistümern Messen nach dem tridentinischen Ritus von 1962 gefeiert werden dürfen. Er benennt Vorgaben, um diese Feiern in die Einheit der Kirche und die Diözesen einzubinden. Für internationale Kritik sorgt eine damit auch wieder zugelassene Karfreitagsfürbitte, in der für die Bekehrung der Juden zu Christus gebetet wird.

Juni 2008: Zum 20. Jahrestag der Exkommunikation Lefebvres lehnt die Priesterbruderschaft eine Aufforderung des Heiligen Stuhls zur theologischen und kirchenpolitischen Aussöhnung zunächst ab. Sie kommt der Aufforderung Roms nicht nach, eine Fünf-Punkte-Erklärung mit Bedingungen für eine mögliche Wiedereingliederung in die römische Kirche zu unterzeichnen. Allerdings beantwortet sie das Schreiben fristgerecht und fordert zunächst eine Rücknahme der Exkommunikation.

15. Dezember 2008: In einem Schreiben an die Kommission "Ecclesia Dei" bittet Fellay im Namen der vier Bischöfe erneut um die Rücknahme der Exkommunikation. Er sichert die Anerkennung des päpstlichen Primats und die Annahme der Lehren des Papstes zu.

21. Januar 2009: Die Bischofskongregation erlässt ein Dekret, in dem die Exkommunikation der vier von Lefebvre geweihten Bischöfe Bernard Fellay, Alfonso de Gallareta, Bernard Tissier de Mallerais und Richard Williamson aufgehoben wird.

24. Januar 2009: Der Vatikan teilt die Rücknahme der Exkommunikation förmlich mit.