Der Vatikan tut sich schwer mit seinem Krisenmanagement

Mut zur Wahrheit

Beim sonntäglichen Mittagsgebet auf dem Petersplatz gab sich Benedikt XVI. ungewöhnlich emotional. Man müsse Mut zur Wahrheit haben und klar sagen, dass Euthanasie eine menschenunwürdige Lösung für das Drama des Leidens sei, rief er mit erhobener Stimme vor mehr als Zehntausend Gläubigen. Es ging um den "Tag des Lebens" in Italien. Mit keinem Wort ging der Papst auf die Turbulenzen ein, die seit einer Woche den Vatikan erfasst haben.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Die Kritik am Vatikan hält an, obwohl sich das Kirchenoberhaupt auch persönlich um Schadensbegrenzung bemühte: Detailliert begründete er am Mittwoch die Rücknahme der Exkommunikationen von vier Traditionalisten-Bischöfen (unter ihnen der Brite Richard Williamson, der starrsinnig Gaskammern und Judenmord leugnet) mit seiner besonderen Verpflichtung zur kirchlichen Einheit. Er stellte klar, dass er von den Traditionalisten als Gegenleistung die volle Anerkennung aller Konzile verlange - und dazu gehöre auch das Zweite Vatikanum mit der Forderung nach Religionsfreiheit, Ökumene und Aussöhnung mit dem Judentum. Von dieser Aussöhnung mit dem Judentum rücke die Kirche nicht ab, stellte Benedikt XVI. entschieden klar, und wies jeden Verdacht zurück, die Kirche leugne oder verharmlose den Holocaust.

Allerdings gelang dem Papst damit nicht die erhoffte Beruhigung. Es outeten sich weitere traditionalistische Konzils-Gegner und Holocaust-Leugner. Zwar erhielt der Papst von jüdischer Seite zustimmende Reaktionen, von Politikern wie vom Groß-Rabbinat.
Dennoch plädierte der israelische Religions-Minister Jitzhak Cohen für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel. Eine Forderung, die vom Jerusalemer Außenministerium dementiert wurde. Aber sie förderte weiter das Image eines rückwärtsgewandten Vatikan.

Die Polemik der letzten Woche machte einmal mehr deutlich, dass der «Motor» der Kurie nicht rund läuft. Dass Krisen-Management und überhaupt Planungs- und Leitungsmechanismen auch vier Jahre nach Pontifikatsbeginn immer noch nicht richtig eingespielt sind. Denn seit der Regensburger Rede von 2006 gab es mehrfach Vorgänge, bei denen der Vatikan nachträglich durch seinen Pressesprecher - oder den Papst persönlich - Missverständnisse klären musste.

Beobachter merken an, dass dem Theologen-Papst nicht ein ausgewiesener Spitzen-Diplomat vom Schlage eines Agostino Casaroli als Kardinal-Staatssekretär zur Seite steht. Mit Tarcisio Bertone hat er einen alten Weggefährten berufen, mit dem er theologisch auf einer Wellenlinie liegt. Der politische Expertenverstand und die Anbindung an den diplomatischen Apparat kommt aber erst aus der untergeordnete Ebene der «Sekretäre». Zudem, merken Beobachter an, vertrete der Staatssekretär den wenig reisefreudigen Papst immer wieder bei längeren Auslandsmissionen, zuletzt in Mexiko - dann aber fehle er in der Zentrale.

Auffallend war in den vergangenen Tagen auch die Zurückhaltung der Kurienkardinäle. Lediglich Kardinal Walter Kasper wehrte sich sofort öffentlich gegen die Unterstellung, der Papst habe einen Holocaust-Leugner rehabilitiert. Vielleicht hielten andere die Vorwürfe nicht für eine Antwort wert, aber Benedikt XVI. wirkte etwas allein gelassen. Kardinal Dario Castrillon Hoyos von der für die Kontakte zu den Traditionalisten zuständigen Kommission «Ecclesia Dei» erklärte nach fünf Tagen, dass das TV-Interview von Williamson ihm bei dem Dekret für die Rücknahme der Exkommunikation nicht bekannt gewesen sei. Schwer erklärlich in einer Behörde, die sonst jeden Bischofskandidaten auf Herz und Nieren prüft.

Dann wurde noch durch den Zufall bekannt, dass die für Bischofs-Findungen zuständige Bischofs-Kongregation gar nicht eingebunden war - was wiederum den dortigen Kardinal-Präfekten verärgerte. Dass es also keine ausreichende Verzahnung gegeben hat. Zwar lassen sich sicher (fast) alle Vorwürfe durch Erklärungen entkräften. Aber unabhängig von den Folgen für den Kontakt zu Israel oder für die christlich-jüdische Aussöhnung hat der Vorgang das Image der Kirche in der Öffentlichkeit belastet.