Richtstätten sind Kulturdenkmäler des Jahres

Vom Kreuz zum Galgen

Wenn Christen in diesen Tagen rund um den Globus an das Leiden und Sterben Jesu erinnern, dann ist der Name "Golgatha" Sinnbild für den qualvollen Tod am Kreuz. Nicht nur im antiken Jerusalem war der Strafvollzug vor großem Publikum fester Bestandteil des alltäglichen Lebens. Ein Beleg dafür hierzulande sind Tausende bekannte Richt- und Gerichtsstätten - die Kulturdenkmäler des Jahres.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Der Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) hat sie zu Kulturdenkmälern des Jahres 2009 erklärt. "Weil sie wichtige Zeugen der Entwicklung unserer Rechtsgeschichte sind", wie die zuständige Referentin Christina Wallrafen in Bonn erläutert. Und weil die Erinnerung an die historischen Orte unterzugehen droht.

Manche Spuren verlieren sich erst mit der neuzeitlichen Ordnung des Justizwesens im 19. Jahrhundert. Oft, so wissen die im BHU organisierten Bürger- und Heimatvereine, deuten nur noch Flurnamen auf die makabre Vergangenheit mancher Plätze hin. Der "Galgenberg" im Frankfurter Stadtteil Nieder-Eschbach ist so ein Fall. Ein Kirschbaum steht an der Stelle, wo früher die unglücklichen Delinquenten ihren Gang zum Schafott antreten mussten. Andernorts sind die Belege augenfälliger.

Zum Beispiel im mainfränkischen Wörth. Zwei Stelen aus Buntsandstein ragen sieben Meter hoch in den Himmel. Dazwischen lag ein knapp fünf Meter langes, stabiles Zwerchholz, an dem der Galgenstrick befestigt werden konnte. Historiker vermuten allerdings, dass das um 1750 errichtete Monument lokaler Gerichtsbarkeit nurmehr zur Abschreckung potenzieller Straftäter diente. Die Fantasie der Bevölkerung beflügelte der Ort gleichwohl. Dämonen und Fabelwesen aus dem benachbarten Odenwald sollen sich zu dunkler Stunde ein Stelldichein bei den beiden Säulen geben.

Der "Heinrichsblick" im Bonner Stadtteil Mehlem hat seinen Namen von einem jungen Mann, dem kurz vor seiner Hochzeit fälschlicherweise ein Mord in die Schuhe geschoben wurde. Nach kurzem Prozess musste er an der Richtstätte am Rodderberg hoch über dem Rheintal sein Leben lassen. Sein spärliches Vermögen vermachte der Unglückselige zur Hälfte seiner Verlobten Kunigunde. Die andere Hälfte erhielt die Kirche mit der Auflage, jedes Jahr an seinem Sterbetag eine Messe zu lesen und die Glocken zu läuten, weil "man einen Unschuldigen erhängt habe". Ein Brauch, den die örtliche Pfarre und die Mehlemer Sebastianus-Schützen bis auf den heutigen Tag lebendig erhalten.

Düsterstes Kapitel der Kulturgeschichte
Auch andere Denkmäler künden bisweilen von folgenschweren Justizirrtümern oder tragischen Urteilen. Wobei nicht immer ganz klar ist, wo die Tatsachen enden und der Volksglaube beginnt. Der sächsische Heimatforscher Sven Gerth nennt als Beispiel das "Sybillentürmchen" in Erfurt. Die gegen Ende des 14. Jahrhunderts errichtete Andachtssäule erinnert angeblich gleich an vier Nonnen eines nahe gelegenen Konvents, die "theils aus dem Kloster entwichen, theils auch eines der wichtigsten Ordensgelübde gebrochen hatten", wie alte Chroniken vermerken. Die Frauen wurden demnach in einem Gewölbe lebendig begraben.

"Man gab ihnen ein Brod und einen Krug Wasser hinein, mit welchem sie sich, nachdem das Brod verzehrt war, in der Verzweiflung erschlagen haben sollen." Auf der Homepage www.suehnekreuz.de haben Gerth und seine Mitstreiter einige andere Hinweise auf diese Form der grausamen Strafen zusammengetragen.

Ein Blick in die Gegenwart zeigt freilich, dass Kreuz, Galgen oder Isolationsfolter auch in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften ihre Entsprechung haben. Dass dabei immer wieder Unschuldige ihr Leben lassen müssen, gehört mit zu den düstersten Kapiteln der Kulturgeschichte.