Religiöse Tradition im Herzen Frankreichs

Im Zeichen des Kreuzes

"Grünes Herz Frankreichs" nennt sich das Limousin, in dem es durchweg beschaulich und ländlich zugeht. Im Zeichen des Kreuzes steht hier eine außergewöhnliche religiöse Tradition, die sich nur alle sieben Jahre ereignet: die "Ostentions Limousines". In diesem Jahr ist es Mitte April wieder soweit.

Autor/in:
Andreas Drouve
 (DR)

Wiesen und Rinderweiden wechseln sich mit Hügeln und Hochmooren ab, mit Wäldern aus Steineichen und dem wildromantischen Flusstal der Creuse. "Bei uns im Limousin haben Kühe und Frauen denselben Namen: Limousines", sagt Regionalführerin Florie Fouche und schmunzelt. Dreh- und Angelpunkt der Region ist Limoges, die alte Email- und Porzellanstadt, durch die seit dem Mittelalter mit der Via Lemovicensis einer der Haupt-Jakobswege durch Frankreich verläuft.

Im Zeichen des Kreuzes steht zudem eine außergewöhnliche religiöse Tradition, die sich nur alle sieben Jahre ereignet: die "Ostentions Limousines". In diesem Jahr ist es Mitte April wieder soweit. Das Wort "ostention" leitet sich ab von "schauen", "zeigen", "präsentieren". Und genau darum geht es, wenn anlässlich der Festtage in den Kirchen des Limousin die Reliquien bedeutsamer Heiliger besonders ausgestellt und verehrt werden. Dazu holt man die wertvollen, zumeist mit Email und Gold verzierten Schreine aus ihren Schutzummantelungen aus Gittern und Glas. Hinzu kommen Prozessionen, bei denen die Reliquiare feierlich durch die Städte und Orte getragen werden.

Den Auftakt der Feierlichkeiten markiert das Wochenende des 18./19.
April in Limoges. Am Samstagabend, dem 18. April, wird das Reliquiar des heiligen Martial aus der Kirche Saint-Michel-des-Lions in einer Prozession in die Kathedrale Saint-Etienne überführt. Dort eröffnet der Bischof bei der Sonntagsmesse in Anwesenheit der Vertreter aller maßgeblichen Pfarreien offiziell die "Ostentions", gefolgt von einer neuerlichen Reliquienprozession durch die Innenstadt.

Manifestation des Glaubens
Als Manifestation des Glaubens blicken die "Ostentions" auf eine mehr als tausendjährige Tradition zurück. Man schrieb das Jahr 994, als das Limousin von einer der ärgsten Epidemien heimgesucht wurde, die die Menschen im Mittelalter beutelte: Ergotismus, eine oftmals tödlich verlaufende Vergiftung, ausgelöst durch den Mutterkornpilz im Getreide und somit auch im Mehl. Die Kirchenoberen entschlossen sich, die Reliquienschreine der großen Heiligen hervorzuholen und in einer Bittprozession auf den nahen Mont Gaudy zu bringen, um der Krankheit Einhalt zu gebieten. Die Überlieferung besagt, dass sich ihr Anliegen auf wundersame Weise erfüllte.

Auf diese erste Prozession folgten zahlreiche weitere, die seit dem 16. Jahrhundert im Rhythmus von sieben Jahren stattfinden. Heute verteilen sich die "Ostentions Limousines" auf 17 Orte. Unter den Heiligen genießt Saint Martial, der "Apostel Aquitaniens", einen weitreichenden Ruf; zu Römerzeiten verkündete er das Evangelium im Limousin und gilt als Kirchengründer von Limoges. Ebenfalls über die Regionalgrenzen hinaus bekannt ist Saint Leonard, den der mittelalterliche Codex Calixtinus im Kapitel "Leichname von Heiligen, die am Jakobsweg ruhen und welche die Pilger aufsuchen müssen" hervorhob: "Er führte ein einsames und eremitisches Leben, begleitet von häufigem Fasten und unzähligen Nachtwachen, inmitten von Kälte, Blöße und unsäglich schwerer Arbeit."

Gelebt haben soll Saint Leonard im sechsten Jahrhundert und zahlreiche unschuldig Verurteilte aus der Gefangenschaft befreit haben, weshalb ihm Wallfahrer häufig die Ketten ihrer Kerkerhaft darbrachten. Sein großer Gedenk- und Prozessionstag ist Sonntag, der 24. Mai, in Saint-Leonard de Noblat, wo der romanische Spitzturm der Stiftskirche die kleine Altstadt beherrscht. Im Fokus der Feierlichkeiten stehen weitere Orte wie Rochechouart (Saint-Julien de Brioude; Sonntag, 31. Mai), Saint-Yrieix-la-Perche (Saint-Yrieix; Sonntag, 21. Juni) und Saint-Junien (Saint-Junien; Sonntag, 28. Juni). Ihr Ende finden die diesjährigen "Ostentions Limousines" mit einer Dankmesse in Limoges am Sonntag, den 15. November.