In Berlin findet am Sonntag der Volksentscheid "Pro Reli" statt

Gradmesser für Mobilisierungsfähigkeit der Kirchen

Seit Wochen prägen Plakate zum Volksentscheid "Pro Reli" das Stadtbild Berlins. Fast täglich wird irgendwo eine Diskussion zum Thema veranstaltet. Am Sonntag findet der Volksentscheid statt. Die wahlberechtigten Hauptstädter sind aufgerufen, über die künftige Stellung des Religionsunterrichts abzustimmen.

Autor/in:
Birgit Wilke
 (DR)

Sie entscheiden darüber, ob das Fach dem vor zwei Jahren eingeführten Ethikunterricht gleichgestellt wird und beide Fächer einen Wahlpflichtbereich bilden oder ob die bestehende Regelung beibehalten wird, die es so in keinem anderen Bundesland gibt. Dann würde der Religionsunterricht weiterhin den Rang eines von den Kirchen verantworteten Zusatzfachs haben.

Laut Grundgesetz ist der Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach, Ausnahmen gestattet aber die sogenannte Bremer Klausel. Am Berliner Sonderstatus gibt es seit langem Unbehagen. Es entzündete sich etwa daran, dass Religion zumeist in Randstunden angeboten wird und viele Schüler den Gang zum Eiscafe vorziehen. Als die SPD/PDS-Koalition vor drei Jahren auch unter dem Eindruck eines «Ehrenmordes» an einer Türkin ein staatliches Ethikpflichtfach ab der siebten Klasse etablierte, verschärfte sich die Kritik.

Das neue Pflichtfach, das anders als das Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) in Brandenburg nicht zugunsten des Religionsunterrichts abwählbar ist, führte in den betroffenen Klassen dazu, dass die Anmeldungen beim Religionsunterricht nicht zuletzt wegen der ohnehin vollen Stundenpläne um bis zu 25 Prozent zurückgingen. An manchen Schulen kann das Fach inzwischen gar nicht mehr angeboten werden, weil die erforderliche Mindest-Gruppengröße nicht erreicht wird.

Rund um den Berliner Rechtsanwalt Christoph Lehmann gründete sich vor zwei Jahren die Bürgerinitiative «Pro Reli». Sie wird vor allem von den Kirchen, der CDU und FDP, der Jüdischen Gemeinde und einigen muslimischen Verbänden unterstützt. Rückendeckung erhält «Pro Reli» aber auch von prominenten Sozialdemokraten wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles sowie der früheren grünen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer.

Beim erfolgreichen Volksbegehren, Voraussetzung für einen Volksentscheid, sammelte die Initiative innerhalb von vier Monaten Unterschriften und konnte im vergangenen Februar 265.823 gültige Stimmen vorweisen, notwendig waren 170.000. Den Termin für die Abstimmung setzte der Senat auf den 26. April fest und koppelte ihn damit nicht - wie von der Initiative gewünscht - mit der Europawahl am 7. Juni. Diese Entscheidung, die Mehrkosten von 1,4 Millionen Euro verursacht, bemängelten nicht nur die Oppositionsparteien.

Um ihr Anliegen am Sonntag durchzusetzen und eine Änderung des Schulgesetzes zu erreichen, benötigt die Initiative die Stimmen von mindestens 612.000 Berlinern; das ist ein Viertel der Stimmberechtigten. Stellt man die stimmberechtigten rund 800.000 Protestanten und Katholiken dagegen, die in Berlin leben, zeigt sich, wie hoch die Hürde liegt.

Bei einem Sieg von «Pro Reli» könnte die dann fällige Neuregelung bereits zum kommenden Schuljahr umgesetzt werden. Denn die zügige Einführung war ein Argument des Berliner Senats für den frühen Abstimmungstermin. Die Kirchen wären dafür gerüstet. Bei anderen Religionsgemeinschaften, etwa den Buddhisten, die ebenfalls Religionsunterricht in Berlin anbieten, aber auch bei der Jüdischen Gemeinde und den islamischen Verbänden wäre eine sofortige Umsetzung schwierig. Hier müssten vermutlich Übergangslösungen geschaffen werden. Erreicht die Initiative die notwendige Stimmzhal nicht, bleibt es bei der derzeitigen Regelung.

So oder so ist die Auseinandersetzung, die längst bundesweit Beachtung gefunden hat, zu einem Gradmesser für die Mobilisierungsfähigkeit der Kirchen geworden. Sie könnte auch über Berlin hinaus eine Auswirkung auf das Verhältnis von Staat und Kirche haben.