KNA: Herr Professor Wolf, warum haben Sie sich mit der "Affäre Sproll" befasst?
Wolf: 1938 hat Sproll als erster Bischof im deutschen Episkopat öffentlich gegen die Nazi-Ideologie protestiert, indem er nicht an der "Wahl zum Großdeutschen Reichstag" und zum "Anschluss" Österreichs teilgenommen hat. Zudem kannte ich einen Artikel über Sproll aus der "Tübinger Chronik" von 1928. Darin ging es um einen von ihm angestrengten Beleidigungsprozess. Worüber genau verhandelt wurde, bleibt in dem Text unklar. Und die Prozessakten waren in Ulm nicht mehr auffindbar. Dass ich als Schwabe meine wissenschaftliche Neugier befriedigen wollte, ist sicher verständlich.
KNA: Was haben Sie herausgefunden?
Wolf: Für mich ging es um die Frage, wieso Sproll nicht nach dem Ende der Nazi-Herrschaft - ebenso wie der Münsteraner Bischof von Galen - zum Kardinal ernannt oder nach seinem Tod seliggesprochen wurde. Und das hängt mit dem Prozess zusammen. Nach der Öffnung der Archivbestände über das Pontifikat von Papst Pius XI. konnte ich mir im Vatikan die Akte über Sproll besorgen, wie sie der damalige Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., angelegt hatte. Pacelli hatte sich eine Abschrift der Verfahrensunterlagen zuschicken lassen. Daraus wird deutlich, dass es dunkle Gerüchte gab, Sproll sei Vater eines Kindes - gestreut von einem Priester, der wohl selbst gerne Bischof von Rottenburg geworden wäre. Dieser völlig unbegründete Verdacht gegen Sproll hätte wegen der in Deutschland nicht mehr vorhandenen Unterlagen in Rottenburg nicht geklärt und endgültig aus der Welt geschafft werden können.
KNA: Wie kommt es, dass fast jeder in Deutschland Kardinal von Galen und fast keiner Bischof Sproll kennt?
Wolf: Von Galens Predigten gegen die Nazi-Ideologie waren zweifellos ein Fanal, und das Bistum Münster hat nach seinem Tod alles für das Ansehen und Andenken von Galens getan. In Rottenburg dagegen geriet Sproll relativ bald in Vergessenheit. Das Bistum musste sich nach Kriegsende um die Integration von einer halben Million katholischer Heimatvertriebener kümmern, die in evangelischen Gebieten angesiedelt worden waren. Später stand das Zweite Vatikanische Konzil ganz oben auf der Tagesordnung. Erst heute denkt das Bistum intensiv über Sproll nach und würdigt das Zeugnis der Zivilcourage eines schwäbischen Bauernbischofs, der sich nicht hat verbiegen lassen.
KNA: Sehen Sie auch kirchenpolitische Zusammenhänge, weil Pacelli und das Rottenburger Domkapitel Sproll nicht nur unterstützt haben?
Wolf: Dass Pacelli Sproll zwei Mal um einen Rücktritt gebeten hat, wissen wir bislang nur aus zweiter Hand. Die Quellenlage ist sehr dünn. Vielleicht hatte Pacelli auch andere Gründe für seine Rücktrittsbitte, etwa Sprolls schwere Krankheit. Und Domkapitel und Bischof hatten in der damaligen Situation ganz unterschiedliche Funktionen. Während der Bischof draufhauen konnte - Sproll war sicher kein Brückenbauer und hat es sich mit manchem verdorben -, ging es dem Domkapitel darum, durch eine schwierige Zeit zu kommen.
Die Bistumsleitung wollte verhindern, dass beispielsweise ein Pfarrer nach einer Predigt von den Nazis verhaftet wurde.
KNA: Sehen Sie Gründe, die gegen eine Seligsprechung sprechen?
Wolf: Nein. Aber es ist nicht Sache eines Historikers, über den Tugendgrad eines Dieners Gottes zu urteilen. Das immer im Hintergrund Wabernde ist jetzt ausgeräumt. Bischof Fürst muss nun nachdenken, ob Sproll für die Gläubigen des Bistums als Vorbild hingestellt werden soll. Taugt Sproll mit seiner Beharrlichkeit und Gradlinigkeit als Identifikationsfigur? Die erste Stufe eines Seligsprechungsverfahrens ist die diözesane Ebene. Wenn Bischof Fürst das will, dann kann die richtig harte Arbeit anfangen.
Mindestens 80 Prozent von Sprolls Biografie sind bis heute nicht sauber aufgearbeitet. Sehr spannend ist für mich, dass ausgerechnet von Galen in einem Brief Sproll mit den frühen Märtyrer-Bischöfen vergleicht.
Der Kirchenhistoriker Wolf und die "Affäre Sproll"
Die harte Arbeit kann anfangen
"Die Affäre Sproll" heißt das neue Buch des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur erläutert er, warum er sich mit dem von den Nationalsozialisten aus Rottenburg vertriebenen Bischof befasst hat und was seine Forschungsergebnisse für eine mögliche Seligsprechung bedeuten können.
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