Gewerkschaften angesichts der Folgen der Wirtschaftskrise gespalten

Angst vor "sozialen Unruhen" am 1. Mai

Als DGB-Chef Michael Sommer vor zehn Tagen vor sozialen Unruhen wie in den 1930er Jahren warnte, hat er wohl kaum geahnt, welche Welle er damit auslösen würde. Deutschland scheint gespalten: Linke Gruppierungen rufen zu "sozialen Unruhen" auf, Polizeigewerkschaften erwarten am 1. Mai in Berlin und anderen Großstädten die schlimmsten Krawalle seit Jahren und die Politik versucht zu beschwichtigen.

Autor/in:
Nicole Scharfschwerdt
 (DR)

Auch SPD-Präsidentschaftskandidaten Gesine Schwan zeichnete ein düsteres Bild von der sozialen Lage in Deutschland. «Ich kann mir vorstellen, dass in zwei bis drei Monaten die Wut der Menschen deutlich wachsen könnte», sagte Schwan unlängst und relativierte dies etwas später. Sie habe weder vorhergesagt, dass Menschen auf die Barrikaden gehen, noch dass soziale Unruhen entstehen werden. Der 1. Mai wird nun zu einer Art Realitätstest.

Kritik an Schwans Warnungen kam von CSU-Chef Horst Seehofer. Er finde «es schon enttäuschend», wenn sich eine Bewerberin um das höchste Staatsamt «leichtfertig» auf diese Weise äußere, sagte er der Nachrichtenagentur ddp. Mit Blick auf den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer sagte er: «Soziale Unruhen heraufzubeschwören, verunsichert die Menschen.»

Vertreter der Polizeigewerkschaften hatten am Mittwoch erklärt, die Spannungen in der Gesellschaft könnten sich am 1. Mai entladen. Gewaltbereite Neonazis und Autonome könnten versuchen, den Tag der Arbeit für Randale und Straßenschlachten zu missbrauchen. Linke Gruppierungen rufen explizit zu Unruhen auf. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) relativierte die Befürchtungen. Er rechne für den 1. Mai vor allem mit Aktionen von Einzeltätern. Die Mehrheit sei vernünftig genug, ihrem Ärger verbal Luft zu machen. Er gehe davon aus, dass die großen Demonstrationen wieder mehr Zulauf bekommen könnten.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, die Deutschen hätten bislang besonnen auf die Wirtschaftskrise reagiert. Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil wies die Angst vor Ausschreitungen als unbegründet zurück. «Wir rechnen nicht mit Unruhen, weil Deutschland einen starken Sozialstaat hat und weil wir auch Sozialpartnerschaften zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden haben.» Heil warnte aber davor, die Wirtschaftskrise zu unterschätzen.

Die Gewerkschaften sind indes gespalten. Der Vorsitzende der IG BCE, Hubertus Schmoldt, versuchte die Wogen zu glätten. Es sei derzeit überhaupt nicht angebracht, von sozialen Unruhen zu reden, sgte er. Man könne solche Dinge auch unnötigerweise herbeireden. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, warnte hingegen vor einer Spaltung der Gesellschaft. Sommers Äußerungen seien gerechtfertigt.

IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte: «Wenn die Krise zu einer hohen Zahl von Arbeitslosen führt und wenn die Politik einer solchen Entwicklung tatenlos zusieht, dann glaube ich nicht, dass die Menschen das mit verschränkten Armen zur Kenntnis nehmen werden.» Wenn es sein müsse, werde die IG Metall dann «zu Protesten und Demonstrationen aufrufen.»

Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, unterstützte die Gewerkschaften. «Wenn der Reichtum auf der einen Seite zunimmt, die Armut auf der anderen Seite wächst, dann kann es tatsächlich zu sozialen Unruhen kommen», sagte er. Diejenigen, die Schuld an der Finanz- und Wirtschaftskrise trügen, müssten zur Verantwortung gezogen werden.