Vor 100 Jahren endete das Leben eines Heiligen, der keiner war

Auch Mexiko hat seinen Robin Hood

Keiner weiß, ob es ihn wirklich gegeben hat. Seine Anhängerschaft aber ist groß. Vielerorts, vor allem in der mexikanischen Drogenhochburg Culiacan an der Pazifikküste, finden sich seine Spuren. Überall gibt es Altäre und Kapellen, die dem "Santo de los Narcos", dem Heiligen der Drogenmafia, gewidmet sind. Bekannt wurde Jesus Malverde auch als der "Robin Hood Mexikos". Am 3. Mai 1909, vor 100 Jahren, soll er aufgehängt worden sein.

Autor/in:
Brigitte Schmitt
 (DR)

Am Sonntag wird der Schrein, den Verehrer in einem hässlichen Gebäude mitten in Culiacan errichtet haben, Ziel Tausender Wallfahrer sein. Auch ohne besonderen Anlass pilgern Anhänger wie neugierige Touristen zu dem «Heiligtum». Da hilft es wenig, wenn Ortsbischof Benjamin Jimenez Hernandez immer wieder warnt, dass diese Figur absolut kein Heiliger im katholischen Sinne sei. Der feine Herr, dargestellt im blütenweißen Hemd mit Schlips, Oberlippenbart und manchmal auch einem Cowboyhut, wird als Galionsfigur bei Prozessionen herumgetragen. Sein Konterfei findet sich auf den Heckscheiben potenter Geländewagen, und seine Büsten werden quasi überall verkauft.

Jesus Malverde, dessen richtiger Name Jesus Juarez Mazo gewesen sein soll, hatte sich vor über 100 Jahren den Ruf eines kriminellen Wohltäters erworben. Zwar ranken sich viele Gerüchte um seine Person, doch zur Zeit der autoritären Regierung von Präsident Porfirio Diaz (1876-1880 und 1884-1911) gab es mehrere Volkshelden, die für die Befreiung der Armen kämpften. Im westlichen Bundesstaat Sinaloa war General Francisco Canedo verlängerter Arm des Präsidenten. Ihn interessierte weniger das Wohl des Volkes als die Einnahmen aus ausländischen Investitionen, und so musste das Volk bluten.

Wer sich die harschen Lebensbedingungen von damals vor Augen führt, versteht, warum sich der Kult um Malverde entwickelte, jenen mexikanischen Robin Hood, der den Reichen nahm und den Armen gab.
Seine Raubzüge trafen die wohlhabenden Familien der Gegend um Culiacan, das heute etwa 700.000 Einwohner hat. Als Tarnung verwandte er Bananenblätter, und bald hieß es: Er komme aus dem Grünen und verschwinde darin - daher der Name Malverde, «böses Grün».

Die Ausgegrenzten von damals und heute finden nichts Schlimmes am kriminellen Tun ihres Helden. Die Perle der Legende ist sein Tod:
Der Gouverneur setzte ein Kopfgeld auf den dreisten Räuber aus. Das Schicksal wollte es, dass der vielleicht 21-Jährige verletzt wurde oder erkrankte. Wissend, dass es mit ihm zu Ende ging, bat er in seiner Räuberhöhle einen Freund, ihn an die Polizei zu verraten und das kassierte Kopfgeld an die Armen zu verteilen. Malverde wurde ergriffen und aufgehängt. Zur Abschreckung baumelte sein Leichnam am Baum, bis ein Passant des Weges kam, den Wohltäter erkannte und ihn begrub. Einem alten Indio-Brauch der Gegend folgend, legte er als Dank für seine Wundertaten drei Steine an das Grab.

In der als Kapelle dienenden Fabrikhalle zeugen bis heute Votivtafeln und einfache Zettel von erfüllten Bitten: «Danke, dass du mir über die Grenze (in die USA) geholfen hast», steht auf einem. Hinter Malverde-Bildchen stecken Dollarscheine - Spenden von Migranten vor der gefährlichen Reise nach Norden.

Zu Beginn war Malverde vor allem der «Santo» der einfachen Campesinos, später der Migranten. Erst seit den 1950er Jahren stilisierten die Medien den «Engel der Armen» zum «Heiligen der Narcos» hoch. Und das kam so: Bis in die 40er Jahre bauten die Bauern in der kargen Gegend auch Marihuana und Mohn an. Dann schritten die Behörden ein. Die Campesinos flehten bei ihrem Wohltäter um Schutz. Und plötzlich hatte der «Grüne Teufel» nicht nur die Anbauer, sondern auch die Händler in seinem Gefolge.

Tief verwurzelt ist der Glaube an etwas oder jemanden, der helfen kann, in der mexikanischen Volksfrömmigkeit. Auch wenn oft ganze Karawanen PS-starker Geländewagen mit verdunkelten Fenstern vorfahren, wenn Mariachis Hits aus der Drogenszene trällern: Jesus Malverde gilt für alle als Fürsprecher ihrer Sorgen und Nöte - auch für jene, die sich nichts zuschulde haben kommen lassen. So meint etwa Dona Josefina, die heute wie seit Jahren zu ihrem Heiligen pilgert: «Ich glaube an Jesus Malverde. Er und die Virgen de Guadalupe sind meine Beschützer - egal was die Kirche sagt.»