Kardinal Cordes über das internationale Priesterjahr

"Identität oft verdunkelt"

Auf das Paulusjahr folgt das internationale Priesterjahr. Äußerer Anlass ist das 150. Todesjahr des französischen Geistlichen und Heiligen Jean-Baptiste Marie Vianney (1786 - 1859), dem Heiligen Pfarrer von Ars. Es sei dringend notwendig, das priesterliche Selbstverständnis neu zu stützen, benennt der deutsche Kurienkardinal Paul Josef Cordes ein Ziel des Priesterjahres.

 (DR)

Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach der Präsident des Päpstlichen Rates Cor unum und Mitglied der zuständigen Kleruskongregation über Anliegen des Jahres und die Faszination des heiligen Pfarrers von Ars.

KNA: Herr Kardinal, was erwarten Sie von dem Priesterjahr?

Cordes: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind viele Diskussionen und Unklarheiten über die priesterliche Identität aufgekommen. Es hieß, der Priester sei zerrieben worden zwischen Bischofsamt und Laienstand. Die Kirchenkonstitution «Lumen gentium» förderte zu Recht das Bestreben nach mehr Raum für den Laien in der Kirche. Zudem gab es Versuche auch großer Theologen, den Priester mit der Koordination von Charismen zu identifizieren. Er brauche nichts außer Sensibilität und Leitungsgeschick, um die vielen Gnadengaben in der Gemeinde wie ein Moderator zu bündeln; von der besonderen Gnade des Weihesakraments war keine Rede mehr. Dann bildeten sich auf Diözesan- wie auf Pfarrebene Pastoralräte, die ihren Platz in der Kirche beanspruchten. All das sorgte für Verunsicherungen im Klerus.

KNA: Und da soll das Priesterjahr Abhilfe schaffen?

Cordes: Wenn die Zahl der Priesterberufungen gerade im Westen rückläufig ist, dann auch deshalb, weil sich die Identität des Priesters oft verdunkelt hat. Insofern sehe ich es als Wink des Heiligen Geistes, dass Benedikt XVI. dieses Jahr des Priesters ausgerufen hat. Es dürfte kaum alle Wunden heilen. Aber es ist dringend notwendig, das priesterliche Selbstverständnis neu durch die Beachtung seiner Unersetzlichkeit und durch die entsprechende theologische Vertiefung zu stützen.

KNA: Es gab 1990 bereits eine Bischofssynode zum Priesteramt mit dem päpstlichen Lehrschreiben «Pastores vobis dabo». Ist das Priesterjahr ein neuer Anlauf, soll es andere Akzente setzen?
Cordes: Bei der Synode 1990 ging es wesentlich um den Priestermangel und um Überlegungen, wie in den verschiedenen Weltregionen Priesterberufungen geweckt werden können. Dabei bemühte man sich natürlich auch darum, das Profil des Priesters zu schärfen, denn gerade dadurch kann der Beruf ja für junge Männer attraktiv werden.

Doch ich sehe das jetzige Priesterjahr keineswegs als Alternative oder im Gegensatz zu dem postsynodalen Dokument.

KNA: Worum geht es dann?
Cordes: Die Idee zum Priesterjahr entstand mit dem Vorschlag eines deutschen Bischofs, der Papst möge zum 150. Todesjahr des Pfarrers von Ars eine besondere Akzentuierung des priesterlichen Dienstes vornehmen. Benedikt XVI. hat diesen Anstoß zu dem Priesterjahr umgemünzt.

KNA: Warum wurde der Pfarrer vor Ars als Leitbild des Priesterjahres gewählt?

Cordes: Der Pfarrer von Ars ist eine ungemein faszinierende Gestalt. Er macht die ganze Dimension der menschlichen Existenz präsent: von der tiefen Freude, Mitarbeiter Christi zu sein, bis hin zu Kämpfen mit dämonischen Kräften. Er hat ein Leben geführt, das in seiner Askese und Härte befremdlich und fast abschreckend wirkt. Er hat 12 bis 14 Stunden täglich im Beichtstuhl gesessen, hat nach eigenen Worten den ganzen Winter über vor Kälte seine Beine nicht mehr gespürt.

KNA: Trotzdem kamen die Menschen in Massen zu ihm.

Cordes: Gerade auf diese Weise zog er Ströme von Pilgern an, die bei ihm beichten wollten; in der letzten Zeit seines Lebens waren es 80.000 Männer und Frauen im Jahr. Die französische Eisenbahn stellte erstmals Tickets mit mehrtägiger Gültigkeit aus, weil die Besucher meist drei Tage in Ars warten mussten, bis sie an die Reihe kamen.

Der jüngst veröffentlichte Brief des Papstes zum Priesterjahr mit seinen vielen Zitaten bekundet fast in jedem Satz, wie sehr Benedikt XVI. diesen Priester bewundert.

KNA: Warum strömten die Menschen nach Ars, wegen der Lebensweisheit des Pfarrers?
Cordes: Zunächst steckte dahinter sicher die Suche nach dem Heiligen. Dann spielte sein sich verbreitender Ruf eine Rolle. Es sprach sich rasch herum, dass dieser Mann für viele Menschen zu Licht und Inspiration geworden ist; dass sie gerade in seiner Person eine Antwort auf ihre Fragen fanden. Die Menschen bewunderten die Lebensweisheit, auch die Weisungen zur Bewältigung der äußeren und inneren Not. Er vermittelte aus der Kraft des Glaubens heraus neuen Mut.

KNA: Eignet sich der Pfarrer von Ars heute noch als Vorbild?
Cordes: Alle spirituellen Impulse werden kraftvoller, wenn wir Vorbilder haben. Wir leben vom Zeugnis. Dessen Qualität braucht sich nicht unbedingt als direkte Nachahmung niederzuschlagen, sondern auch im Wagnis, aufgrund eines heroischen Beispiels die eigenen Grenzen zu überschreiten.

KNA: In diesen Tagen endet das Paulusjahr, es beginnt das Priesterjahr. Setzt der Papst auf solche Themenjahre?
Cordes: Die Ideen zu beiden Jahren stammen nicht aus Reflexionstreffen oder vatikanischen Fünf-Jahres-Plänen. Beide gehen auf konkrete Vorschläge von Bischöfen der Weltkirche zurück. Ich sehe die Gründe dafür eher in der Sensibilität des Papstes, Anregungen von außen aufzugreifen.