Zum Tod von Michael Jackson

Die einzig wahre Legende

Eine laue Sommernacht. Ein Cabrio fährt die Straße entlang. Dann geht das Benzin aus. Ein Pärchen steigt aus - sie mit einem weißen Kopftuch, er in einer roten 80er-Jahre-Jacke. Ein Verlobungsring wechselt den Besitzer. Plötzlich bricht der Vollmond hinter einer Wolke hervor. Der Verlobte verwandelt sich in einen Werwolf. "Ich bin nicht wie alle anderen!", hatte der Mann mit dem "M" auf der Jacke noch gesagt.

Autor/in:
Boris Fust
 (DR)

13 Minuten dauert dieses Michael-Jackson-Video zu "Thriller". Es ist einer der größten Momente der Popgeschichte und der Höhepunkt einer beispiellosen Karriere. Bereits als Fünfjähriger erblickte Michael Joseph Jackson das Bühnenlicht. Angetrieben von seinem Vater Joe, einem Kranfahrer in der Stahlindustrie, wurde er 1963 Mitglied der Familienband The Jackson Five. Außermusikalische Freizeitaktivitäten waren den Brüdern Jackie, Tito, Jermaine, Marlon und Michael, dem Jüngsten, strikt untersagt: Tingeltangel-Auftritte rund um das Heimatstädtchen Gary im US-Bundesstaat Indiana hatten unbedingten Vorrang.

Das Kinder-Quintett wuchs zu einem der größten Erfolge des Plattenlabels Motown heran, bei dem es ab 1968 unter Vertrag stand. Das Singledebut "I Want you Back" erschien 1969 und wurde zur Nummer 1 der Billboard-Charts. Auch die folgenden Single-Veröffentlichungen "ABC", "The Love You Save" und "I'll Be There" belegten die Spitzenposition - das war zuvor noch keiner Formation gelungen.

Michael Jackson wurde zum Kinderstar - weil er so erwachsen klang. In den Soulsongs, die in ihrer Mehrzahl von Liebesleid und Verlust handelten, fanden sich vorrangig Erwachsene wieder. Michael Jackson überschritt die Grenze zwischen den Generationen. Grenzüberschreitungen wurden zum Erfolgsrezept: Als Megastar übertünchte er in den 80ern die Demarkationslinien zwischen Hautfarbe und Geschlecht.

Aus Michael Joseph Jackson wurde Jacko, der "King of Pop". Als erster schwarzer Künstler hatte er auf dem Musiksender MTV Erfolg - auch wenn man ihm seine Hautfarbe nicht mehr ansah. Sein Wandel zum Superstar begann mit dem 1979 erschienenen Album "Off the Wall", auf dem er erstmals mit dem Produzenten Quincy Jones zusammenarbeitete.

Und dann "Thriller": 50 Millionen verkaufte Platten, neun Songs, sieben Nummer-1-Hits, das erfolgreichste Album aller Zeiten. Eine musikalische Wundertüte, die für jeden etwas bot: Balladen von bis dato unbekannter Süße, Funk mit Drumcomputerrhythmen, deren programmierte Synkopen und Taktverschiebungen ungeahnt menschlich klingen, anrührender Soul mit emotionaler Tiefe, gesungen von einer der charismatischsten Stimmen des Pop. "Billy Jean", "Beat It" und "Thriller" sind heillos überproduzierte Meisterwerke, die den postmodernen Geist der 80er, nach dem alles erlaubt ist, Ausdruck verliehen. Traditionell verfeindete Stilistiken - Disco und Hard Rock - lebten in Eintracht nebeneinander. Das von Eddie Van Halen gespielte Gitarrensolo auf "Billie Jean" legt bis heute beredtes Zeugnis von dem Kulturbruch ab.

"Thriller" (1984) und das drei Jahre später veröffentlichte Album "Bad" sind Produktionen, wie es sie aufwendiger seither kaum mehr gegeben hat. Produzent Quincy Jones schuf einen unverkennbaren Sound, der bombastischer und zugleich filigraner kaum sein könnte. Die Drums krachen, sämtliche Instrumente sind bis kurz vor der Übersteuerung ausgepegelt - und doch ist jeder Kiekser, jedes Luftholen Michael Jacksons überdeutlich zu hören.

Doch nicht allein die Heerscharen an Synthesizerprogrammierern und Toningenieuren machten die Produktionen aus. Aufwendiger als die Verkabelung des Instrumentenparks dürfte es gewesen sein, Michael Jackson vor das Mikro zu kriegen. Legenden kursierten: Die Aufnahmen hätten im Dunklen stattgefunden, Jacko, berühmt für seine Schüchternheit, hätte hinter dem Sofa gekauert und Quincy Jones den Refrain von "Billy Jean" mit zittriger Stimme vorgetragen. Und man hörte ja so viel: von dem Sauerstoffzelt, von "Bubbles", dem Hausaffen, von der Fantasy-Ranch "Neverland", auf der der King of Pop residierte. Gerüchte. Klatsch.

Die Plattenfirma Columbia hat diese Probeaufnahmen Ende der 90er veröffentlicht, als es mit der Karriere schon längst nicht mehr so lief. Sie gehören zu den erschütterndsten Klangdokumenten der Popgeschichte. Die Legende entsprach der Wahrheit.

Michael Jackson ist am Donnerstag in Los Angeles gestorben.