Religionsfreiheit in der Türkei weiter ungewiss

Neue Prüfung für die Erben des Paulus

Zum Abschluss des Paulusjahrs sehen türkische Christen neue Hoffnungssignale. Nach Medienberichten erwägt der Kultusminister des Landes, die Schließung des griechisch-orthodoxen Priesterseminars auf der Insel Chalki im Marmarameer wieder aufzuheben.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Sollte das zutreffen, so wäre das eine kleine Revolution. Seit 1971 ist die einzige Ausbildungsstätte für griechisch-orthodoxe Geistliche in der Türkei ein Zankapfel zwischen Kirche und Regierung; die Europäische Union hat das Seminar auf die Tagesordnung der Beitrittsverhandlungen mit Ankara gesetzt.

Patriarch Bartholomaios I., griechisch-orthodoxes Oberhaupt und selbst Chalki-Absolvent, verliert öffentlich kein Wort darüber, als er am Sonntagabend im südtürkischen Antakya, dem biblischen Antiochien, das Patronatsfest zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus eröffnet. Andere Kirchenleute nehmen die vermeintliche Wende mehr mit Skepsis auf. Doch für viele Gläubige ist die Nachricht das Gesprächsthema auf dem Kirchplatz. Vielleicht, sagen einige, stimmt es doch, was sie hoffen: Dass der türkische Staat es ernst meint mit der Religionsfreiheit.

Zahlreiche christliche Pilger kamen
Das Paulusjahr brachte zahlreiche christliche Pilger in das Land, das neben dem Heiligen Land Ursprungsstätte des Christentums ist: Der größte Teil des Neuen Testaments wurde auf dem Boden der heutigen Türkei geschrieben; Paulus und seine Mitstreiter trugen von Tarsus, Ephesus und Antiochien aus den neuen Glauben in die Welt. Von den Gedenkfeiern zur Geburt des Völkermissionars vor 2.000 Jahren profitierten die örtlichen Christen nicht zuletzt durch die gestiegene Aufmerksamkeit und mehr Rückhalt bei ihren Glaubensbrüdern in aller Welt.

Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wie es weitergeht. Mit der Wirtschaftsentwicklung der Türkei steht es nicht zum besten; ein EU-Beitritt scheint eher fern. Vor diesem Hintergrund erstarkt ein Nationalismus, der auch mit islamistischen Zügen verquickt ist. "Es gibt Fanatiker in der Regierungspartei", sagt ein Ehepaar auf dem Kirchplatz von Antakya. "Aber sie tun uns nichts."

Mag sein, dass Antakya ein Sonderfall ist. In der Provinzmetropole an der Grenze zu Syrien leben seit jeher Muslime, Juden und Christen einträchtig zusammen. Die katholische Gemeinde hat nach eigenem Bekunden keine Schwierigkeiten, Immobilien zu erwerben und sie offiziell für kirchliche Zwecke zu nutzen. Eine deutsche Seelsorgerin aus dem Bistum Limburg, Barbara Kalesch, hält täglich Friedensgebete, an denen sich Jugendliche aller Glaubensrichtungen beteiligen. Schon als Petrus und Paulus hier wirkten, war Antiochien ein Schmelztiegel der Kulturen. Einheimische nennen die Stadt eine Oase des Friedens.

Brennpunkt der Auseinandersetzung Tarsus
Kirchenmitarbeiter andernorts bewerten die Dinge anders. Ein aus Italien stammender Ordensmann, der unter anderem in den nördlichen Landesteilen tätig war, spricht von den "neuen Märtyrern" - der italienische Priester Andrea Santoro, 2006 in Trabzon an der Schwarzmeerküste erschossen, und drei freikirchliche Missionare, die 2007 ermordet wurden, unter ihnen ein Deutscher. Die Angst unter Christen nehme zu; auch einzelne Zugeständnisse während des Paulusjahrs, etwa die Möglichkeit, in der Kirche von Tarsus Gottesdienste zu feiern, dürften nach seiner Einschätzung wieder eingezogen werden. "La festa è finita", sagt er: "Die Party ist vorbei."

Gerade Tarsus, der Geburtsort des Paulus, wurde zum Brennpunkt in der Auseinandersetzung um die Glaubensfreiheit der Christen. Die deutschen Bischöfe, allen voran Kardinal Joachim Meisner aus Köln, setzten sich während des Gedenkjahrs energisch und mit Unterstützung des Deutschen Bundestags für eine christliche Kultstätte ein. Die alte Kirche des Ortes war zwischenzeitlich zum Museum umgewidmet worden; die türkischen Behörden gaben sie aus Anlass des Paulusjahr für Gottesdienste frei. Jetzt wird auch auf diplomatischen Kanälen darum gerungen, dass diese Möglichkeit erhalten bleibt. Noch am letzten Tag des Paulusjahrs räumt Deutschlands Botschafter Eckart Cuntz ein, dass man an einer Lösung "arbeite".