In Ürümqi kam es auch am Mittwoch wieder zu Zusammenstößen zwischen Uiguren und Han-Chinesen

Mit Messern, Stangen und Steinen

In Ürümqi im Westen Chinas herrscht Wut und Trauer. Am Mittwoch verstärkten die Behörden die Sicherheitskräfte massiv. Trotzdem kam es in der Stadt wieder mehrfach zu Ausschreitungen - zwischen Angehörigen der uigurischen Minderheit und ethnischen Chinesen, den sogenannten Han-Chinesen. Im Zentrum schritten eine Hundertschaft der Militärpolizei mit Schlagstöcken und Spezialeinheiten mit Maschinengewehren ein, um die aufgebrachten Menschen zu trennen. Die Hauptstadt der Provinz Xinjiang ist immer noch im Ausnahmezustand.

Autor/in:
Kristin Kupfer
 (DR)

Mehrere Dutzend Han-Chinesen hätten eine Straßensperre der Militärpolizei an der «Südlichen Befreiungsstraße» durchbrochen. Mit Stangen und Messern seien sie auf Uiguren losgegangen, berichtet der junge Uigure Xierjiati: «Sie gingen auf uns los und hackten einen Mann nieder.» Und er fügt hinzu: «Ein uigurischer Polizist sagte mir, sie können uns nicht beschützen, wir sollen das nun selbst tun.»

Der junge Mann hielt eine Holzstange in der Hand. Wenig später ertönten am südlichen Ende des Viertels Schreie. Xierjiati nahm einige Steine und rannte mit ein paar Dutzend Kollegen dorthin. Kurz darauf stürmten Militärpolizisten um die Ecke und gingen mit «Wir töten Euch»-Rufen und Schlagstöcken auf die Uiguren los. Weiter hinten warfen rund hundert Han-Chinesen Steine gegen umliegende Gebäude und auf eine weitere Gruppen von Uiguren, die hinter einer Barrikade aus Wellblechen Schutz suchte. Nach rund 15 Minuten hatten Sicherheitskräfte die Situation unter Kontrolle. Am späten Mittwochnachmittag war ein weißes Panzerfahrzeug der Militärpolizei postiert. Passanten wurden nicht durchgelassen.

Am Dienstag hatten mehrere tausend Han-Chinesen das Viertel mit Stangen, Beilen und anderen spitzen Gegenständen gestürmt. Uigurische und chinesische Augenzeugen berichteten dem epd, dass sie Autos beschädigten und Fensterscheiben der überwiegend uigurischen Läden in den Gassen zertrümmerten.

Schockierte und aufgebrachte Bewohner sprachen von vier Toten, alles junge Uiguren. «Beide Seiten haben nun Rachengefühle», sagte der han-chinesische Ladenbesitzer Li Hongyu, der die Szenen am Dienstag und Mittwoch beobachtet hatte. Uigurische Bürger unterstellen der Militärpolizei, dass sie mit Absicht untätig blieben, als der chinesische Mob am Dienstag anrückte. Han-Chinesen sagten dagegen, dass die Sicherheitskräfte vor der Übermacht und Wut der Chinesen überrannt worden seien.

Mit einer Machtdemonstration reagierten die chinesischen Sicherheitskräfte am Mittwochmorgen. Mehrere hundert Militärfahrzeuge bezogen entlang der «Volksstraße» Stellung. Militärpolizisten patroullierten mit martialischen Schreiparolen wie «Erhaltet die Stabilität» und «Schützt das Volk und Vaterland» durch die Straßen.

Es folgten Fahrzeuge mit der Aufschrift «Propaganda», aus denen per Lautsprecher zur Ruhe aufgerufen wurde. «Das haben einige wenige Gewalttäter verursacht, hier geht es nicht um einen ethnischen Konflikt», sagte die Stimme.

Nachdem die Sicherheitskräfte am Sonntagabend und am Dienstag offensichtlich nicht Herr der Lage waren, bemühten sie sich am Mittwoch um eine starke Präsenz und eine Deeskalation. Doch bis zum späten Mittwochnachmittag hatte sich das Alltagsleben in den Straßen um das Stadtzentrum nur langsam wieder normalisiert. Die meisten Stadtbewohner schienen nicht zur Arbeit gegangen sein. Läden öffneten nur vereinzelt.

Ratlose Han-Chinesen und Uiguren diskutierten die Ereignisse der vergangenen Tage, aus ihren Gesichtern spricht Wut und Trauer. Am Sonntag waren Uiguren auf die Straße gegangen, um die Aufklärung des Todes von zwei uigurischen Arbeitern zu fordern. Wie viele Menschen seither zu Tode kamen, ist nicht bekannt. Die chinesische Führung spricht von 156 Toten, die Exilorganisation Weltkongress der Uiguren von mindestens 400.

In der autonomen Region Xinjiang kommt es seit Jahren immer wieder zu Protesten. Viele Uiguren fühlen sich von den Han-Chinesen wirtschaftlich benachteiligt, einige fordern die Unabhängigkeit der autonomen Region. Etwas weniger als die Hälfte der 20 Millionen Bewohner Xinjiangs gehören der muslimischen Minderheit an.

Am späten Mittwochnachmittag fuhren wieder Busse und Taxis im nördlichen Teil der Stadt. Der chinesische Staats- und Parteichef Hu Jintao sagte unterdessen seine Teilnahme am G-8-Gipfel in Italien ab und trat die Heimreise an.