Hubert Coppenrath leitet die vielleicht größte Diözese der Welt

"Aber die meisten sind Fische"

Tahiti - das weckt Gedanken an Sonne und Südseepalmen. Demnach wäre Hubert Coppenrath, Erzbischof von Papeete, Oberhirte im Paradies. Aber in Französisch-Polynesien und in der mit 118 Inseln vielleicht größten Diözese der Welt gibt es auch massive Probleme, wie Coppenrath im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur in Papeete berichtet.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, man sagt, Sie leiten die größte Diözese der Welt.
Coppenrath: Tja, da gibt es noch einige Konkurrenten: Tarawa und Nauru auf Kiribati etwa oder die Karolineninseln mit Sitz in Chuuk, die beide sehr groß sind - selbst nachdem man von Chuuk die Marshallinseln weggenommen hat. Aber die meisten dort sind Fische, wie bei uns ja auch.

KNA: Einigen wir uns auf "eine der größten Diözesen" der Welt.
Coppenrath: Was die Wassermenge angeht, auf jeden Fall. Da sind wir acht mal so groß wie Frankreich mit unseren drei Millionen Quadratkilometern Fläche. Allerdings haben wir nur 2.800 Quadratkilometer Land. Das heißt, wir müssen ständig mobil bleiben, um beieinander zu sein. Heute gibt es zum Glück Flugzeuge, früher nur das Schiff. Das war noch weit beschwerlicher - und manchmal ist man sogar gesunken. Mein Bruder, der vor mir hier Bischof war, hat dreimal Schiffbruch erlitten.

KNA: Kann man Sie den Oberhirten im Paradies nennen?
Coppenrath: Ohlala! Naja, auf jeden Fall einen originellen Fischer.
Im Ernst: Natürlich ist das hier ein wunderbares Stück Erde, und mit unseren Menschen kann man wunderbar zusammenleben. Aber wir haben auch unsere Nöte und Schwierigkeiten.

KNA: Zum Beispiel?
Coppenrath: Vor allem macht uns der Einfluss des Westens zu
schaffen: Die Säkularisierung und Trivialisierung wirkt sich auch hier aus. Natürlich sind unsere Leute sehr religiös, aber das bedeutet noch nicht, als Christ zu leben. Dafür braucht es mehr. Die Menschen beten und kommen zur Messe - aber wenn es daran geht, sein Christsein zu leben, wird es schwierig.

KNA: Nicht leicht zu händeln mit nur 20 Priestern.
Coppenrath: Oh nein. Einer unserer Pfarrer ist für neun Inseln zuständig. Er ist dauernd unterwegs. Deshalb sind die tragenden Kräfte des kirchlichen Lebens hier die Laien. Das hat Tradition: Schon die ersten Missionare haben sich auf Laien gestützt.

KNA: Wenn die Sprache auf die Kirche in Polynesien kommt, kommt sehr schnell der Vorwurf, die Missionare hätten damals die einheimische Bevölkerung kulturell entwurzelt.
Coppenrath: Der Vorwurf beruht aber nicht auf Tatsachen. Für die kulturelle Entwurzelung sind ja nicht die Missionare verantwortlich, sondern das Problem war vor allem die Anwesenheit des Westens an sich: die Schiffe, die Händler und das alles. Die Missionare lebten mit den Menschen und lebten wie die Menschen. Im Gegenteil verdanken wir gerade den Missionaren, dass wir überhaupt noch etwas über die alte Kultur wissen. Sie haben Menschenopfer und Kannibalismus bekämpft, ja. Aber sie haben nicht das Leben der Menschen umgekrempelt. Das waren die Händler, die Matrosen, die Kolonialwelt, die Entdecker.

KNA: Wie kommt also der Vorwurf zustande?
Coppenrath: Nach meinem Dafürhalten ist das ein Mittel, den Katholizismus oder den christlichen Glauben schlecht zu machen. Aber die Fakten geben das nicht her. Und ich sehe auch keine Bitterkeit der Menschen hier gegenüber den Missionaren von damals. Im Gegenteil: Sie lieben ihre Missionare. Was bei den Menschen hier sofort auf guten Boden gefallen ist, ist der Gedanke der Fürsorge füreinander, der Caritas. Das geht hier unmittelbar ein in die Köpfe. Denn der Gemeinschaftssinn ist hier ganz wichtig. Die Gemeinden sind absolut als Gemeinschaft organisiert. Dieser Teil des Christentums geht also ganz einher mit der traditionellen Kultur Polynesiens. Anders etwa als der Gedanke von christlicher Ehe.

KNA: Wie meinen Sie das?
Coppenrath: Die wilde Ehe ist hier ein sehr verbreitetes Modell. Die Kirche hatte zwar in diesem Bereich gewisse Erfolge zu verzeichnen.
Aber die Säkularisierung, Film und Fernsehen, haben ihre Spuren hinterlassen. Die Zahl der zerbrochenen Ehen hat sprunghaft zugenommen, ins Fantastische.

KNA: Aber das ist doch auch eine Frage der Kultur.
Coppenrath: Ja, natürlich. Da gab es zu Beginn völlig unmoralische Praktiken, etwa einem Schiffbrüchigen die eigene Frau anzubieten.
Insofern hat die Mission schon Fortschritte gebracht. Aber heute trennen sich Paare einfach wie überall; das ist ein trauriges Problem, vor allem für die Kinder.

KNA: Zu Ihnen persönlich. Sie tragen einen deutschen Namen.
Coppenrath: Ja, mein Großvater stammt aus Münster in Westfalen.  Damals waren die Deutschen sehr aktiv in dieser Gegend: den Marianeninseln, den Karolinen, den Marshallinseln. Mein Großvater wurde als junger Agenturvertreter für seine Handelsgesellschaft hierher geschickt. Aber er ist schon 1906 gestorben. Und da war er nach einem Handels-Crash bereits in die Heimat zurückgefahren. Ich bin der jüngste der Enkel, Jahrgang 1930. Ich habe ihn nie kennengelernt.

KNA: ... und sprechen also auch kein Deutsch?
Coppenrath: Nein, schon mein Vater sprach mit uns Französisch, meine Mutter sprach mit uns Tahitianisch, und untereinander sprachen sie Englisch. Drei Sprachen in einer Familie - aber Deutsch war nicht darunter.

KNA: Sie sind Ihrem eigenen Bruder als Bischof nachgefolgt. Das ist nicht gerade üblich in der Weltkirche.
Coppenrath: Sehr selten sogar. Ich kenne genau ein Beispiel: Den heiligen Franz von Sales, dem auch sein eigener Bruder nachgefolgt ist [Jean-Francois de Sales, Fürstbischof von Genf 1622-1635, Anm.
d. Red.]. Mein Bruder war hier 31 Jahre Bischof.

KNA: Die werden Sie aber nicht anstreben?
Coppenrath: Ich bin 78 - und habe also schon vor drei Jahren meinen Rücktritt angeboten.

KNA: Aber der Papst will, dass Sie bleiben.
Coppenrath: Es gibt eine lateinische Formel in unserer Kirche, die
besagt: "nunc ad tunc". Will sagen: Du bleibst, bis ein anderer gefunden ist.

KNA: Und Sie warten also darauf?
Coppenrath: Nein, nein, ich kann ja nicht drei Jahre warten. Ich tue meine Arbeit. Das Problem gibt es übrigens in der gesamten Pazifikregion: In unserer gemeinsamen Bischofskonferenz sind sechs Sitze vakant. Demnächst sehe ich den Apostolischen Delegaten wieder. Da werde ich ihn mal auf Neuigkeiten ansprechen. Aber Nuntien sind ja vom Typ her nicht so geschwätzig.