KNA: Herr Professor Lesch, "Weißt Du wieviel Sternlein stehen?", heißt es im Volkslied. Wissen Sie's?
Lesch: Mit bloßem Auge sehen wir mit Glück nachts vielleicht ein paar hundert Sterne. Der Straßenverkehr und die Beleuchtung schränken die Sicht doch sehr ein. Legt man sich auf einer griechischen Insel auf die Wiese und späht in den Himmel, kommt man vielleicht auf 6.000. Durch das Fernrohr sieht man natürlich viel mehr. Unsere Milchstraße besteht aus etwa 100 Milliarden Sternen.
KNA: Haben Sie sich als Naturwissenschaftler einen Schuss Romantik bewahrt, um von einem Sternenhimmel verzückt zu sein?
Lesch: Aber natürlich. Die Tatsache, dass man etwas über den Himmel weiß, ändert an seinem Zauber nichts. Wenn ich so einen Stern sehe, der 6.000 Lichtjahre von mir entfernt ist, fasziniert mich das. Das heißt ja, dass in diesem Moment zwischen mir und dem Stern nichts ist, sonst wäre sein Licht nicht bis zu mir gekommen. Das Weltall ist eine ziemlich leere Veranstaltung, da sollte man sich keine falschen Vorstellungen machen.
KNA: Hollywood spielt in etlichen Katastrophenfilmen mit der Angst vor einem Asteroideneinschlag. Ein realistisches Szenario?
Lesch: Herumvagabundierende Felsbrocken gibt es überall und manchmal treffen die eben unseren Planeten. Inzwischen existieren Überwachungsprogramme, die nach Eindringlingen in unser Sonnensystem fahnden. Das ist nicht einfach, denn so 30 Kilometer große Brocken sind zwar für menschliche Verhältnisse groß, aber winzig mit Blick auf die Ausdehnungen des Kosmos. Vor 65 Millionen Jahren knallte so ein Ding kurz vor Mexiko ins Wasser. Damit war Feierabend für die Dinosaurier. Beim nächsten Mal wären wir dran.
KNA: Gibt es keine Rettung?
Lesch: Um solche kosmische Bedrohungen abwehren zu können, bräuchten wir ein Raketensystem, das Lasten weit von der Erde weg transportieren kann, zum Beispiel auf eine Mars-Umlaufbahn. Ist so ein Asteroid schon einmal beim Mond, ist die Sache gelaufen. Da hilft dann auch kein Bruce Willis mehr.
KNA: Sind wir allein?
Lesch: Ich hoffe, dass noch ein paar andere außer uns da sind. Ich bin sogar überzeugt, dass es Leben auf vielen Planeten gibt. Bis wir einen mit erdähnlichen Bedingungen gefunden haben, mögen noch 15 Jahre vergehen. Da wird man dann vielleicht ein paar kleine Zellen herumkriechen sehen, mehr wohl nicht. Auf der Erde dauerte es sechs Milliarden Jahre, bis sich höhere Lebensformen entwickeln konnten.
Insofern führt Ihre Frage vor allem zur Erkenntnis, welch paradiesische Zustände bei uns herrschen, für die wir Verantwortung tragen. Wir sollten es nicht vermasseln. Egal, ob es Außerirdische gibt oder nicht, unser Planet ist in jeder Hinsicht etwas ganz Besonderes.
KNA: Am Anfang war der Urknall, sagen die Physiker. Und davor?
Lesch: Das lässt sich naturwissenschaftlich nicht beantworten. Wir können erst etwas wissen ab dem Moment, ab dem Ursache-Wirkungszusammenhänge gegeben sind. Das ist ziemlich genau
13,7 Milliarden Jahre her. Das Universum war fünf mal zehn hoch minus 44 Sekunden alt. Es war circa 35 Meter groß und hatte eine Temperatur von zehn hoch zweiunddreißig Kelvin und eine Energiedichte von zehn hoch dreiundneunzig Gramm pro Kubikzentimeter. Mehr kann ich als Physiker nicht anbieten. Was Gott vor dem Anfang gemacht hat, hat Augustinus mal gesagt: Da hat er die Hölle geschaffen für die Leute, die solche dämlichen Fragen stellen.
KNA: Das Verhältnis zwischen den Naturwissenschaften und der Theologie galt lange als gespannt. Wie ist das heute, 400 Jahre nach dem Fall Galilei?
Lesch: Die Theologen haben einen riesigen strategischen Fehler gemacht, als sie anfingen, die Naturwissenschaften auf ihre Wissenslücken hinzuweisen und dort Gott zu verorten. Das ist dumm, denn jeden Tag, wo ein bisschen mehr gewusst wird, schrumpft Gott so Stück für Stück auf Bonsaigröße zusammen. Was soll das für eine Religion sein? Nein, beide Wissenschaften behandeln ganz unterschiedliche Probleme. Es gibt keine Gottes-Terme in unseren Gleichungen. Aber eines verbindet Glauben und Wissen.
KNA: Und was?
Lesch: Der Zweifel. Er ist die produktivste menschliche Kraft. Als Gläubiger bin ich gefordert, meinen Glauben immer wieder aufs Neue zu deuten, ihn aufgrund neuer Erkenntnisse auch kritisch zu hinterfragen. Außerdem ist mein protestantischer Glaube ein ganz starker Visionär, der immer in der Hoffnung lebt, dass alles gut wird. Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich die Apfelbäumchen noch alle pflanzen, die zu pflanzen sind.
KNA: Was ist das große ungelöste Rätsel der Astronomie?
Lesch: Momentan ist es die dunkle Energie, von der wir nicht wissen, woher sie kommt und was sie ist. Wir wissen nur, dass sie da ist und dass sie 72 Prozent des Energiegehalts des Universums ausmacht. Aber ich nehme an, wenn wir das Rätsel gelöst haben, taucht gleich das nächste auf.
Der Physiker Harald Lesch zum "Jahr der Astronomie"
"Das Weltall ist eine ziemlich leere Veranstaltung"
Die Vereinten Nationen haben 2009 zum "Internationalen Jahr der Astronomie" ausgerufen. Der Münchner Astrophysiker und Fernsehmoderator ("Abenteuer Forschung") Harald Lesch erläutert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), was ihn am Weltall fasziniert, ob es Außerirdische gibt und warum Theologen im Disput mit den Naturwissenschaften einen schlimmen strategischen Fehler begangen haben.
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