Der Briefwechsel von 1965, der unter dem Titel «Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung» in die Geschichte einging, steht in seiner Wirkungsgeschichte nur wenig hinter dem Kniefall Willy Brandts im Warschauer Ghetto von 1970 zurück.
So umstritten wie Brandts Ostpolitik in Deutschland war auch der Vergebungsbrief der Bischöfe fünf Jahre zuvor in Polen. Ihre Versöhnungsgeste gegenüber den «Revanchisten» und «Knechten des Imperialismus» in der Bundesrepublik war für die Kommunisten in Warschau ein willkommener Anlass zur Propaganda: Sie konnten die katholischen Bischöfe Polens als Verräter nationaler Interessen brandmarken. Unter ihnen war auch der Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla, der später als Papst einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung des Eisernen Vorhangs leisten sollte.
In den Jahrzehnten seit dem historischen Briefwechsel war das Verhältnis «nicht frei von Missverständnissen und Belastungen», wie die Bischöfe in ihrer am Dienstag veröffentlichten Erklärung zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns freimütig bekennen. Auch nach der Anerkennung der polnischen Westgrenze schwelte vor allem bei den Vertriebenen in Deutschland Unmut. Es ging (und geht) um die Anerkennung des Unrechts, das Millionen von Deutschen nach dem Krieg erlitten. Dem stand (und steht) die Angst vieler Polen vor Besitzansprüchen von Deutschen in ihrer alter Heimat gegenüber. Zu den nicht bewältigten Kapiteln zählt auch die Absetzung des deutschen katholischen Klerus in Schlesien und Ostpreußen, bei der die polnische Kirchenhierarchie ohne Samthandschuhe das durchsetzte, was sie aus nationaler Perspektive für richtig hielt.
70 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen ist die Generation, die sich unmittelbar an Schuld und Leid erinnern kann, alt geworden. Zu den Umgesiedelten und Vertriebenen zählen in Deutschland der Kölner Kardinal Joachim Meisner (Jahrgang 1933, geboren in Breslau), der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky (geboren 1936 im ostpreußischen Warlack), und der Augsburger Bischof Walter Mixa (geboren 1941 im oberschlesischen Königshütte). Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, ein gebürtiger Donauschwabe, hat einen ähnlichen biografischen Hintergrund.
Es ist bemerkenswert, dass die bilaterale «Kontaktgruppe», die den aktuellen Text vorbereitet hat, bereits von Jüngeren geleitet wurde. Über die gegenwärtigen Beziehungen äußern sich die Bischöfe in dem Text eher optimistisch. Sie sprechen von einem «Klima des Verzeihens und der Versöhnung» und einer «Kultur des Friedens». Sie betonen, wie wichtig die europäische Einigung gerade für die deutsch-polnische Versöhnung sei.
Nur an wenigen Stellen scheinen in dem Text ungelöste Fragen auf. So formulieren die Oberhirten: «Die deutschen und polnischen Bischöfe verurteilen gemeinsam das Verbrechen des Krieges; einig sind wir uns auch in der Verurteilung der Vertreibungen. Dabei verkennen wir niemals den inneren Zusammenhang und die Abfolge der Geschehnisse.» Es fällt auf, dass eine logische Selbstverständlichkeit derart betont wird. An einer anderen Stelle kündigen sie Widerspruch an gegenüber jenen Kräften, die versuchen, historische Verletzungen «propagandistisch auszubeuten und, gestützt auf einseitige geschichtliche Interpretationen, Ressentiments zu schüren». Auch hier wird deutlich, dass ein gemeinsames Wort deutscher und polnischer Bischöfe 70 Jahre nach Kriegsbeginn mehr ist als eine Festtagsrede.
Deutsche und Polen: Kirche blickt auf schwierige Vergangenheit
Nach 70 Jahren noch keine Normalität
Unter den vielen Stimmen, die sich anlässlich des Weltkriegsbeginns vor 70 Jahren zu Wort melden, konnte die der katholischen Bischöfe in Deutschland und in Polen nicht fehlen. Mit einem gewissen Stolz können die Oberhirten der beiden Nachbarländer darauf zurückblicken, dass ihre Vorgänger schon vor mehr als einer Generation den Weg zur Versöhnung eingeschlagen haben, den die Politik erst später gehen konnte. Eine Standortbestimmung von Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der Katholischen Nachrichten Agentur.
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