Die Skandale in den bestehenden oder geplanten Atommülllagern in Norddeutschland, aber auch die Pannen im Atomkraftwerk Krümmel in Schleswig-Holstein - sie sind endgültig zum Top-Thema im laufenden Bundestagswahlkampf geworden. Gekämpft wird an vielen Fronten - etwa im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Atommülllager Asse im Landtag von Hannover, am Schacht Gorleben im Wendland oder in Morsleben in Sachsen-Anhalt, und schließlich im politischen Berlin, wo all die Pannen und Missgeschicke beim Umgang mit radioaktiven Altlasten von den Parteien bewertet und gemäß der eigenen Ideologie interpretiert werden.
Die Befeuerung mit immer wieder neuen Erkenntnissen über die offenkundigen Versäumnisse in der Endlagerfrage war zuletzt so stark, dass speziell die Union ihre Defensiv-Taktik nicht mehr weiterfahren konnte. Fast täglich gelangen mittlerweile neue brisante Erkenntnisse an die Öffentlichkeit, was etwa die Eignung des Salzstocks Gorleben als atomares Endlager betrifft. Wollten Union und FDP da nicht in der Welle des Protestes untergehen, mussten sie in die Offensive gehen. So meldete sich sogar die Bundeskanzlerin noch einmal zu Wort und sprach sich - für manch einen überraschend - noch einmal explizit für eine Aufkündigung des Atomausstiegs aus.
Gorleben so brüchig wie Asse?
Stimmen die Fakten der Atomkraftgegner, trifft offenbar zweierlei zu: Das nach wie vor von den bürgerlichen Parteien favorisierte Versuchsendlager Gorleben hätte nach rein fachlichen Kriterien nie auserwählt werden dürfen. Laut Geologen ist es genauso brüchig wie das einsturzgefährdete Atommülllager Asse. Und die ehemalige Landesregierung unter Ernst Albrecht und Bundesregierung unter Helmut Kohl (beide CDU) ignorierten die fachlichen Bedenken und setzten Gorleben nach Ansicht von Atomexperten aus politischen Gründen durch.
Albrecht sei sich der «Tragweite» seiner Entscheidung wohl damals nicht bewusst gewesen, sagte am Mittwoch der Geologe Dieter Ortlam, der in den 60er Jahren an der Standortanalyse in Gorleben beteiligt war. Er und seine Kollegen hätten mit großem «Kopfschütteln» reagiert, als Albrecht sich in den 70er Jahren auf Gorleben festlegte.
Nicht nur Politiker, auch Experten wie Ortlam müssen sich in diesen Tagen die Frage gefallen lassen, warum sie es damals bei bloßem Kopfschütteln beließen. Ortlam sagte, es sei die Pflicht eines Wissenschaftlers, «rechtzeitig» vor Gefahren zu warnen. Zwischen Albrechts Entscheidung und dem nun erfolgten Aufschrei der Experten liegen 30 Jahre. Manche damals verantwortliche Forscher sehen gar bis heute keinerlei Versäumnisse. Im Untersuchungsausschuss zum einsturzgefährdeten Atommülllager Asse traten schon Geologen auf, die sich nach wie vor «stolz» auf die eigene «Leistung» zeigten.
Schon am Donnerstag geht der Wahlkampf weiter. Dann fährt Bundesumweltminister Gabriel einmal mehr in den Asse-Schacht hinab. Offiziell will er Kriterien für das Schließungskonzept vorstellen. Für mehr Aufregung werden aber vermutlich neue scharfe Attacken auf Union und FDP im Allgemeinen sowie die Bundeskanzlerin im Besonderen sorgen. Dass Merkel vor dem 27. September ebenfalls einmal in einen der norddeutschen Atommüllschächte hinabfährt, ist allerdings zu bezweifeln.
Skandale um Asse und Gorleben machen Atompolitik zum Top-Wahlthema
Parteienzank um strahlenden Müll
Zumindest beim Thema Gorleben hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre von vielen als präsidial empfundene Zurückhaltung im Wahlkampf offenbar aufgegeben. Am Mittwoch wetterte Merkel gleich in mehreren Zeitungen gegen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel wegen dessen "Tot"-Erklärung des Endlager-Projekts Gorleben. Wenn nicht Wahlkampf wäre, würde Gabriel so "nicht reden", sagte Merkel. Und bezog selbst politisch Position, indem sie eine Weitererkundung des Salzstocks forderte.

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