Erzbischof Edmundo Abastoflor zur Lage der Kirche in Bolivien

"Eine gewisse Distanz"

Vor den Präsidentschaftswahlen: der Erzbischof von La Paz, Edmundo Abastoflor Montero, zur Lage im Land und der angespannten Situation der Katholischen Kirche, der offiziell über 80 Prozent der Bevölkerung angehören.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, wie wirkt sich die weltweite Wirtschaftskrise auf Bolivien aus?
Abastoflor: Gerade für die Ärmsten ist das ein großes Problem. Da gibt es zum Beispiel Hunderttausende Auswanderer, die in die verschiedensten Länder der Welt gegangen sind. Sie können nicht mehr soviel Geld an ihre Angehörigen in Bolivien überweisen. Und das wirkt sich bei vielen Familien direkt aus. Vor einem Jahr gingen da vielleicht noch 200 Dollar ein. Jetzt sind es nur noch 150 oder weniger. Das ist viel Geld für die Ärmsten. Ein weiteres Problem ist die sinkende Nachfrage an Rohstoffen, die wir exportieren. Es gibt also mehrere Aspekte der Krise, von denen wir unmittelbar betroffen sind.

KNA: Welche Verantwortung hat die westliche Welt für Bolivien?
Abastoflor: Wir schämen uns, das ärmste Land Südamerikas zu sein.
Aber die Länder Europas und Nordamerikas müssen begreifen: Wir gehören zu einer Welt. Was einigen passiert in einem Teil der Welt, geht auch die Menschen in anderen Ländern etwas an. Und wenn Südamerika und speziell Bolivien jetzt so arm sind, stehen auch die wohlhabenderen Länder in der Pflicht, etwas dagegen zu tun. Hinzu
kommt: In den vergangenen Jahrhunderten hat sich Europa an den Schätzen Südamerikas bereichert. Wenn aktuell von Auslandsschulden die Rede ist, dann sollte Europa auch bedenken, dass es in der Geschichte eine viel größere Auslandsschuld gegenüber Bolivien und Südamerika angesammelt hat.

KNA: Die äußeren Faktoren sind das eine. Aber wie sieht es im Land selbst aus, zum Beispiel beim Verhältnis zwischen Kirche und Regierung?
Abastoflor: Seit dem Amtsantritt von Evo Morales ist es zu einer gewissen Distanz gekommen. Wir führen das darauf zurück, dass die Regierung oder die Regierungspartei die Arbeit der Kirche nicht genügend versteht. Dabei sind die religiösen, moralischen und ethischen Fundamente der Gesellschaft ganz wichtig für die Entwicklung des Landes. Und dazu kann die Kirche einen großen Beitrag leisten.

KNA: Trotzdem scheint der Dialog zwischen Kirche und Staat schwierig. Gibt es Hoffnung, dass sich an diesem Zustand nach den Wahlen etwas ändert?
Abastoflor: Ja, diese Hoffnung haben wir. Wir versuchen, im Gespräch zu bleiben. Und wir versuchen, die verantwortlichen Politiker zu verstehen und uns selbst verständlich zu machen. Dadurch hoffen wir, zu einer besseren Zusammenarbeit zu kommen.

KNA: Welche konkreten Kontakte gibt es denn?
Abastoflor: Wir haben vor kurzem einen allgemeinen Vertrag mit der Regierung geschlossen. Ziel war es, die konkrete Arbeit der Kirche in verschiedenen Feldern des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens deutlich zu machen. Und dass die Regierung dies anerkennt und ihren Beitrag leistet, damit diese Arbeit vorangehen kann. In den kommenden Wochen wollen wir weitere Verhandlungen führen, um die Arbeit für die Armen und für die Vernachlässigten auf solide Grundlagen zu stellen.

KNA: Das heißt zugleich, die Kirche wird ihre Verankerung in der Gesellschaft nicht als Druckmittel gegenüber der Regierung einsetzen?
Abastoflor: Das soziale Engagement ist immer groß gewesen und wird auch groß bleiben.

KNA: Nun macht die Politik des amtierenden Präsidenten der Kirche gerade in diesem Bereich Konkurrenz. Deswegen noch einmal ganz direkt gefragt: Ist Evo Morales Fluch oder Segen für die katholische Kirche?
Abastoflor: Kein Mensch kann ein Fluch für einen anderen Menschen sein. Jeder Mensch hat etwas Gutes in sich - und noch mehr, wenn er versucht, etwas Gutes für die Mitmenschen zu tun. Daher glauben wir, dass unser jetziger Präsident viele gute Absichten hat, die sich hoffentlich verwirklichen lassen. Das heißt aber auch nicht unbedingt, dass alles, was jemand macht, immer gut sein kann. Jeder kann Fehler machen. Auch wir selbst.

KNA: Welche Fehler hat die Kirche denn aus Ihrer Sicht gemacht?
Abastoflor: Teile der Bevölkerung sind vielleicht der Ansicht, dass sich die Kirche allzusehr in die politischen und sozialen Begebenheiten eingemischt hat. Indem sie versuchte, bei verschiedenen sozialen und politischen Problemen zu vermitteln, entstand möglicherweise der Eindruck, dass sich die Kirche als eine politische Macht versteht. Ich glaube, diese Sichtweise hat uns geschadet. Weil die Absicht der Kirche immer war, die Bevölkerung und sozialen Parteien - und manchmal auch die politischen - dazu zu führen, gemeinsame Lösungen für das Wohl der Menschen zu suchen und zu erarbeiten.

Das Gespräch führte Joachim Heinz.