Der "katholischste Sitz" im US-Senat wird neu vergeben

Schicksalswahl in Massachusetts

Am Dienstag blicken die Vereinigten Staaten voll Spannung nach Massachusetts. Fast neun Monate vor den diesjährigen Kongresswahlen findet ein außerplanmäßiger Urnengang statt, der bei vielen Amerikanern Wehmut auslösen wird. Es geht um die Nachfolge eines ganz Großen im US-Senat: Edward genannt Ted Kennedy, der den Sitz bis zu seinem Tod im August 2009 innehatte.

Autor/in:
Ronald Gerste
 (DR)

Es handelt sich genauer gesagt um einen Platz im Oberhaus amerikanischer Politik, der seit mehr als einem halben Jahrhundert so etwas wie das Eigentum jener berühmten Familie gewesen ist: der Kennedys. Es war dieser Senatssitz, über den erstmals katholische Politiker ins Zentrum der Macht gelangten. 1952 gewann ihn ein junger Charmeur namens John Fitzgerald Kennedy. Nach seiner Wahl zum 35. Präsidenten der USA zog 1962 sein jüngerer Bruder Edward für ihn in den Senat ein.

Doch die Wahl hat darüber hinaus auch eine politische Bedeutung, die weit über die Historie und die Grenzen des Neuenglandstaats hinausweist. Denn wenn Präsident Barack Obamas Demokraten den Kürzeren ziehen, ist die solide Mehrheit im Senat dahin. Plötzlich würden große Reformvorhaben der Regierung wieder auf der Kippe stehen. Dass die Demokraten in Massachusetts verlieren, war eigentlich undenkbar - bis vor wenigen Tagen. Der demokratischen Kandidatin, Massachusetts' Justizministerin Martha Coakley, scheint es nicht so recht zu gelingen, ihre Anhänger zu aktivieren.

Mehr noch: Jüngsten Umfragen zufolge hat der republikanische Gegenkandidat Scott Brown mächtig aufgeholt. Der redegewandte Anwalt und Senator im Senat von Massachusetts spricht vor allem ein gemäßigt konservatives Publikum an und damit auch die zahlenmäßig größte Religionsgemeinschaft des Bundesstaates, die Katholiken. Gern stellt sich der Vater zweier Töchter als Familienmensch dar und gibt sich entschlossen, Amerika und seine Werte zu verteidigen. Und was bei anderen eine Jugendsünde wäre, gilt bei dem 50-Jährigen offenbar als publikumswirksames Detail: 1982 kürte das Magazin «Cosmopolitan» den damaligen Jurastudenten zum erotischsten Mann Amerikas - und druckte ein aufklappbares Hochglanzfoto von ihm ab, auf dem er nur spärlich bekleidet ist.

Da Brown ohne die Stimmen der Frauen von Massachusetts nicht gewinnen kann, versucht er sich derzeit an der Quadratur des
Kreises: Schwangerschaftsabbrüche nicht rundheraus zu verdammen, ohne deswegen die katholische Klientel gegen sich aufzubringen. Zu diesem eher schwammigen Kurs passt, dass sich der Republikaner in Sachen Religionszugehörigkeit bedeckt hält. Auf seinen Websites ist davon nirgends die Rede und auch sein Büro will diesen Punkt nicht präzisieren. Klar scheint indes: Brown ist gegen eine Gesundheitsreform, wie sie Präsident Obama anstrebt - und für die Ted Kennedy gleichsam bis zum letzten Atemzug gekämpft hat.

Die Wahlen versprechen also einige Spannung. Eine noch größere Sensation als ein Sieg Browns wäre allerdings, wenn der dritte Kandidat das Rennen um den frei gewordenen Senatssitz gewinnen würde. Denn dieser trägt den denkbar zugkräftigsten Namen. Er heißt Joseph Kennedy, genau wie der Gründer der berühmtesten politischen Dynastie Amerikas und Vater von John, Robert und Edward. Für traditionsbewusste Wähler bleibt freilich ein Wermutstropfen:
Verwandt mit dem «Clan» ist der Vertreter der «Libertarians», einer kleinen liberalen Partei, nicht.