Zu den Gründen für die Massaker im Zentrum Nigerias

"Weder Dschihad noch Kreuzzug"

 (DR)

Für die Überlebenden in Dogo Nahawa, einem Dorf nicht weit von der nigerianischen Stadt Jos entfernt, steht fest, wer hinter dem Massaker in der Nacht zum Sonntag steckt. «Ich habe die Täter flüstern hören, während ich mich mit meinem Baby im Haus versteckt habe», sagt Peter, einer der Überlebenden. «Sie haben Haussa gesprochen und Arabisch und gesagt: Da drin sind noch Ungläubige, zündet das Haus an.» Während andere einem regelrechten Blutbad zum Opfer fielen, konnte Peter fliehen. «Es waren die Haussa-Fulani, sie wollten Rache üben für einen Überfall auf ihr eigenes Dorf.»

Mehr als 500 Menschen in drei Dörfern kamen bei den zeitgleich ausgeführten Überfällen ums Leben, sagen Beobachter. Die Polizei wollte am Donnerstag zunächst nur 109 Opfer bestätigen. «Die meisten sind Christen», so Polizeisprecher Mohammed Lerama. «49 Verdächtige werden angeklagt, fast alle sind Fulani.» Seine Aussagen scheinen Informationsminister Gregory Yenlong zu bestätigen, der am Montag konstatierte: «Es handelt sich um eine ethnische Säuberungsaktion gegen die Berom.»

Berom gegen Haussa-Fulani, Muslime gegen Christen: wer in Jos, der Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaates Plateau, nach Tätern und Opfern fragt, hört immer wieder die gleichen Vorwürfe. Hier, an der Nahtstelle zwischen dem mehrheitlich christlichen Süden und dem überwiegend muslimischen Norden Nigerias, hat Religion eine ganz besondere Bedeutung. Radikale Dschihadisten predigen hier ebenso wie kreuzzüglerische Missionare. Zu denen zählt Tassie Ghata von «Gnade und Licht International» sich zwar nicht. Trotzdem macht sie eine muslimische Verschwörung für die Kämpfe verantwortlich, die Mitte Januar begonnen haben.

«Was hier passiert, das ist ein heiliger Krieg gegen uns Christen und die einheimischen Stämme, ein Dschihad», so Ghata. Zwar rate sie Christen von Angriffen auf Muslime ab. «Aber ich rate niemanden davon ab, sich zur Wehr zu setzen.» Genau solche Äußerungen macht Umar Farouk von der muslimischen Bürgerbewegung «Jamaat Nazrel Islam» für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich. «Ende Dezember haben Prediger in einer Pfingstkirche im Gottesdienst behauptet, die Muslime würden bereits Waffen sammeln.»

Farouk dementierte, doch das Gerücht war in der Welt. Nicht zufällig, sagt er. Und ist selbst nicht weniger radikal als die Christin, die er kritisiert: «Was wir hier von den Christen gesehen haben, ist der Versuch ethnischer Säuberungen, die wollen uns vertreiben.» Da sei es kein Wunder, gibt Farouk zu, dass muslimische Jugendliche sich organisieren und zurückschlagen würden.

Moderate Stimmen sind selten in Jos. Eine gehört Ogoh Alubo, einem Soziologieprofessor an der Universität. Er hält die ethnische Komponente des Konflikts für bedeutend, weil rückständige Gesetze «Einheimischen» Vorrechte gegenüber Zugezogenen oder «Siedlern» garantieren. «Ich lebe seit 1983 in Jos und meine Kinder sind alle hier geboren», beschreibt Alubo die Lage am eigenen Beispiel. «Aber ich und selbst meine Kinder gelten als Siedler: deshalb haben sie keine Stipendien bekommen, sie können nicht in der Verwaltung arbeiten und bekommen kein politisches Amt.»

Das Problem sei, dass nirgends definiert sei, wer einheimisch sei und wer nicht. «Die Brom nennen die traditionell aus dem Norden kommenden Haussa-Fulani Siedler, aber die Haussa-Fulani sagen: wir waren hier, seit Jos vor 100 Jahren gegründet wurde, wir sind Einheimische.»

Das allein, gibt der Professor zu bedenken, sei nicht der einzige Grund. «Es geht hier nicht um Dschihad noch um Kreuzzug, es geht um Armut und Macht.» In den vergangenen Jahren sei der größte Arbeitgeber der Stadt in die Pleite gerutscht, es gebe immer weniger Jobs. Ackerland werde immer knapper. «Die immer ärmere Bevölkerung entzweit sich, angefacht von Politikern, die damit bei ihrer Wählerschaft punkten wollen.»

Darin, dass das Versagen von Politik und Staat für das inzwischen zehnjährige Schwelen des Konflikts verantwortlich ist, sind sich Muslime und Christen, Fulani und Berom einig. «Unsere Politiker sind Lügner, sie heizen die Unruhen an, damit sie die wahren Probleme nicht angehen müssen», wettert der Muslim Farouk. Und die christliche Missionarin Ghata stimmt zu: «Den Politikern geht es nur um Macht, Geld, Land, wir müssen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen.»