Erzbischof Zollitsch würdigt Fortschritte in der Ökumene

Die Einigung nicht durch Experimente gefährden

Gegen Grenzüberschreitungen und vorschnelle Versuche zur Einebnung der Unterschiede zwischen den Konfessionen hat sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, gewandt. Vor Beginn des Ökumenischen Kirchentags in München wirbt Zollitsch im Interview für behutsame Schritte der Annäherung.

 (DR)

KNA: Vor wenigen Tagen hat der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber, ein Lutheraner, überraschend vorgeschlagen, Lutheraner und Katholiken sollten eine Gemeinsame Theologische Erklärung zum Abendmahl nach dem Vorbild der Rechtfertigungs-Erklärung erarbeiten. Kommt nun nach der angeblichen ökumenischen Eiszeit doch noch ein neuer Frühling und hat dies Auswirkungen auf den ÖKT?

Zollitsch: Das Wort «Eiszeit» ist sicherlich fehl am Platz. Der ÖKT ist Ausdruck einer vitalen Ökumene, die um die bestehenden Möglichkeiten weiß, ohne die Grenzen zu überschreiten. Es ist in den vergangenen Jahrzehnten vieles geschehen. Das sollten wir uns von niemandem kleinreden lassen. Der Vorstoß von Landesbischof Weber ist durchaus bedenkenswert. Wir sollten ihn in der nächsten Sitzung der Dialogkommission der Deutschen Bischofskonferenz und der Vereinigten Evangelischen Lutherischen Kirchen Deutschlands (VELKD) diskutieren.
Dabei sollten wir sehr genau überlegen, ob die Zeit für eine solche Erklärung reif ist oder ob wir die Frage nicht noch stärker gemeinsam theologisch durchdringen müssen. Für konstruktive Impulse für die Ökumene bin ich immer dankbar.

KNA: Was ist das Ziel der ökumenischen Bemühungen in Deutschland und weltweit? Geht es um eine Art «Wiedervereinigung» der getrennten Konfessionen oder bloß um ein geschwisterliches Miteinander?
Zollitsch: «Damit alle eins seien» - das ist der Auftrag Jesu Christi. Das muss unser vorrangiges Ziel bleiben. Diese Einheit gelingt umso eher, je mehr wir ein geschwisterliches Miteinander pflegen. Dieses Miteinander ist nicht in weiter Ferne, sondern es ist bereits Realität: hier und jetzt. Natürlich hat sich manches schwieriger gestaltet und einige der Gespräche sind komplexer geworden. Es gibt aber keinen Grund, mutlos zu sein. Wir wollen beharrlich auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen und das Ziel der vollen sichtbaren Einheit der Kirche nicht aus den Augen verlieren. Dieser Weg ist von vielen kleinen Schritten bestimmt. Ein solcher Schritt des Gemeinsamen wird der während des ÖKT erstmals verkündete künftig einmal jährlich ökumenisch gefeierte «Tag der Schöpfung» sein.

KNA: Im 20. Jahrhundert hatte Deutschland in der Ökumene von Katholiken und Protestanten international eine Führungsrolle, sowohl in der Theologie als auch in der Praxis. Welche neuen Impulse können von einer weltweit einmaligen Veranstaltung wie dem ÖKT ausgehen?
Zollitsch: Es ist ein sprechendes Zeichen, dass der 2. ÖKT eine bewusst international angelegte Veranstaltung ist. Christen aus allen Kontinenten kommen zusammen, um sich gegenseitig im Glauben zu bestärken, um miteinander zu diskutieren und voneinander zu lernen. Zugleich dürfen wir den ÖKT für die weltweite Ebene nicht mit Erwartungen überfordern. Ich wünsche mir, dass von München das Signal ausgeht: Der christliche Glaube schenkt Zuversicht, Hoffnung und Gottvertrauen.

In einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft wie der unsrigen kommt es mehr denn je darauf an, dass wir Christen in entscheidenden Fragen erkennbarer mit einer Stimme sprechen. Das schließt für mich eine christliche Grundhaltung des Respekts und Wohlwollens im Umgang miteinander ein - gerade auch in den Diskussionen über das, was uns trennt. Bei aller notwendigen theologischen Auseinandersetzung sollten wir den Blick verstärkt darauf richten, was wir bereits jetzt konkret in der Praxis gemeinsam tun können. Der Weg des ökumenischen Miteinanders ist ein unumkehrbarer Weg. Unser Land und die Welt sollen verstehen: Die Ökumene lebt und wir lassen uns nicht entmutigen.

KNA: Welche Folgen ergeben sich daraus, dass im vereinten Europa neben Katholiken und Protestanten nun die Orthodoxen viel stärker präsent sind als noch vor 20 Jahren? Muss man künftig bei Ereignissen wie dem ÖKT von drei Konfessionen her denken und planen?

Zollitsch: Ich bin dankbar, dass die orthodoxe Kirche - gerade auch die starke griechisch-orthodoxe Gemeinde in München - sich sehr aktiv in die Vorbereitungen mit eingebracht hat. Wir wissen, wie schmerzlich die Trennung bei der Abendmahlfrage ist. Es ist ein sprechendes Zeichen, wenn ein Segnungsgottesdienst von Brot - keine Eucharistie! - von der orthodoxen Kirche ausgeht, die dann an vielen hundert Tischen dieses Brot verteilt. Die Ökumene der Zukunft ist ohne eine intensive Einbindung der Kirchen der Orthodoxie nicht vorstellbar.

KNA: Aus den Gemeinden ist zu hören, dass viele Christen - etwa bei konfessionsübergreifenden Familien - sich in der gelebten Praxis über kirchliche Vorschriften hinwegsetzen und Grenzüberschreitungen wagen, die weder theologisch noch kirchenrechtlich gedeckt sind. Sollten Bischöfe und Pfarrer dies aus pastoralen Gründen tolerieren oder sind schärfere Vorschriften nötig?

Zollitsch: Die Trennung ist schmerzlich. Deshalb müssen wir an der Überwindung dieser Trennung arbeiten. Das kann aber nur in einem verantwortungsvollen Dialog gehen, der behutsam zu führen ist. Der Weg der Einigung, so sehr er auch ersehnt wird, darf nicht durch Experimente gefährdet werden. Wir brauchen deshalb keine schärferen Vorschriften, aber die Akzeptanz, dass es noch Trennendes gibt. Wer dieses Trennende vorschnell und unüberlegt einzuebnen versucht, der gefährdet eher die Ökumene als dass er sie fördert.

Interview: Ludwig Ring-Eifel