Vor 175 Jahren wurde Papst Pius X. geboren

Antimodernist und doch Reformpapst

Seit 2009 taucht der Name "Pius X." vor allem in der Debatte um die traditionalistische Piusbruderschaft auf, die sich auf den bislang einzigen heiliggesprochenen Papst des 20. Jahrhunderts beruft. Dabei war Giuseppe Sarto, der am 2. Juni 1835 in Venetien geboren wurde, keineswegs nur ein Antimodernist, sondern auch ein innerkirchlicher Reformer.

Autor/in:
Agathe Lukassek
 (DR)

Papst Pius X. - er scheint unterzugehen in der Liste der vielen Kirchenoberhäupter gleichen Namens. Pius IX. (1846-1878) ging als der Papst mit dem längsten Pontifikat (fast 32 Jahre) und als Verkünder des Unfehlbarkeitsdogmas in die Geschichte ein. Pius XI. (1922-1939) schuf mit den Lateranverträgen die Grundlage für den heutigen Vatikanstaat. Und das Verhalten Pius XII. (1939-1958) während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt Historiker bis heute. Die lateinische Ordnungszahl «X.» taucht jedoch nicht in den Vorschlägen der Suchmaschine Google für die Eingabe «Papst Pius» auf - was bedeutet, dass nach den anderen Päpsten öfter gesucht wird.

Der Sohn einer norditalienischen Bauernfamilie wirkte nach seiner Kaplanszeit zuerst im Priesterseminar von Treviso und wurde später Bischof von Mantua. 1893 ernannte ihn Papst Leo XIII. zum Patriarchen von Venedig und berief ihn ins Kardinalskollegium. Als Sarto schließlich am 4. August 1903 zum Papst gewählt wurde, hatte er vier Jahrzehnte als Seelsorger gewirkt, verfügte jedoch über keinerlei Erfahrung in der römischen Kurie. Zudem fehlte ihm eine höhere theologische Ausbildung. Auch moderne Fremdsprachen beherrschte er nicht.

Zahlreiche innerkirchliche Reformen
Als Papst entschied er sich für den Namen Pius X.: zum Gedenken an jene Vorgänger, «die im vergangenen Jahrhundert mutig gegen die Sekten und gegen die wuchernden Irrtümer gekämpft haben». Er sorgte dafür, dass sich künftig keine weltlichen Großmächte mehr in die Papstwahl einmischen konnten. Während des Konklave, aus dem Sarto als Sieger hervorging, hatte Kaiser Franz Joseph von Österreich noch ein Veto gegen den zunächst favorisierten Kandidaten, Kardinalstaatssekretär Mariano Rampolla, eingelegt.

Bei seinen zahlreichen innerkirchlichen Reformen kam Sarto seine langjährige Erfahrung in der Seelsorge zugute. So setzte er das Alter für die Erstkommunion auf sieben Jahre herab und empfahl häufigen Kommunionempfang auch den Laien, die dieses Sakrament bis dahin nur äußerst selten empfingen. Zudem kümmerte sich Pius X. um die Liturgie und förderte eine Renaissance des Gregorianischen Chorals. Er ordnete die Kurie neu und gab die Überarbeitung des Kirchenrechts in Auftrag.

Gegen progressive Bestrebungen
Pius X. misstraute progressiven Bestrebungen in Kirche und Gesellschaft. Dazu gehörten etwa die neuen Formen der Schriftauslegung und Apologetik, die von Frankreich ausgingen. In der Enzyklika «Pascendi dominici gregis» verurteilte er 1907 die modernistische Bewegung als «Zusammenfassung aller Häresien». Ab 1910 verlangte er von jedem Priesteramtskandidaten den Antimodernisteneid, um solche Strömungen vom Klerus fern zu halten. Erst 1967 wurde der Eid von Paul VI. in dieser Form abgeschafft.

Auf außenpolitischem Parkett agierte Pius X. wenig glücklich. So lehnte er jeden Kompromiss mit dem französischen Modell der Trennung von Staat und Kirche ab. Auch mit Spanien und Portugal kam es zum offenen Bruch. Der Kirchenhistoriker Roger Aubert erklärt den autoritären Charakter von Pius' Regierung damit, dass sich das Kirchenoberhaupt der ihm auferlegten Verantwortung bewusst gewesen sei.

Bei den Zeitgenossen beliebt
Seine Volkstümlichkeit machte ihn bei den Zeitgenossen beliebt und trug ihm den Ruf der Heiligmäßkeit ein. Er galt als humorvoll, demütig und bescheiden, mied das majestätische «Wir» und das vatikanische Hofzeremoniell. Auf vielen Fotos ist er ohne Prunk, einfach in der weißen Soutane, abgebildet.

Drei Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, am 20. August 1914, starb Pius X. Trotz der Kritik an seinem Antimodernismus: Sarto hat als Papst auch wissenschaftliche Arbeit unterstützt, etwa als Gründer des Päpstlichen Bibelinstituts. Nachdem eine wissenschaftliche Diskussion ergab, dass es keinen spätantiken Kult um einen heiligen Expeditus gegeben hatte, ließ ihn Pius X. kurzerhand aus dem Heiligenkalender streichen - eifrig und autoritär, wie es seine Art war.