Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Dr. Reimar Zeh

Kann die WM die Kanzlerin retten?

Während die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Südafrika überzeugen kann, scheint die Regierungsmannschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit nicht in Topform. Der Experte Dr. Reimar Zeh erklärt den Zusammenhang von Fußball und Politik und ob die WM die Koalition retten kann.

 (DR)

ddp: Die Koalition ist zerstritten, ihre Umfragewerte sinken massiv. Kann die WM die Kanzlerin retten?
Zeh: «Wenn es tatsächlich dazu kommen sollte, dass Deutschland Weltmeister wird, würde das der Regierung extrem dabei helfen, von ihren Konflikten abzulenken. Eine erfolgreiche WM wirkt von zwei Seiten: Erstens konzentrieren sich die Medien weniger auf die politischen Auseinandersetzungen, der Fußball rückt auf die Titelseiten. Und zweitens verändert eine gut spielende Nationalmannschaft die Stimmung in der Bevölkerung. Wenn die Menschen gut gelaunt sind, beschäftigen sie sich nicht so sehr mit Problemen und bewerten die Dinge generell besser.»

ddp: Ist also ein Zusammenhang zwischen sportlichem Erfolg und Zustimmung zur Regierung tatsächlich messbar?
Zeh: «Ja. Wir nennen dieses Phänomen «Public Mood», wenn die Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe, in diesem Fall die Deutschen, die eigene Laune beeinflusst. Deutlich zu beobachten war dies im Jahr 2002. Damals war der Vorsprung der Union vor der SPD in den Meinungsumfragen sehr komfortabel. Ein Redakteur des Spiegels rechnete nach dem Testspiel-Erfolg der Deutschen gegen Österreich aus, dass SPD und Union spätestens bis zum Halbfinale gleichauf sein müssten. Deutschland kam ins Finale, die SPD holte auf und Kanzler Schröder gewann die Wahl. Wenn die Deutsche Nationalmannschaft gut war, hat dies der aktuellen Regierung genutzt.»

ddp: Das Sommermärchen von 2006 hat Hoffnungen auf einen langfristigen Stimmungsumschwung in Deutschland geweckt. Macht der Fußball unser Land optimistischer?
Zeh: «So ein Sportereignis hat eher kurzfristige Auswirkungen auf die öffentliche Stimmung. Vergleichbar damit ist beispielsweise der Sieg von Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Songcontest. Wir stehen jetzt noch am Beginn der WM und wissen noch nicht, wie sich das Turnier für die Nationalmannschaft entwickelt. Ich würde im Moment aber weder die Situation der Nationalmannschaft noch die der Regierung überbewerten.»

Information: Dr. Reimar Zeh ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der Universität Erlangen. Er ist Autor des Aufsatzes «Fußball als Wahlentscheider? - Wie die deutsche Nationalmannschaft politische Popularität beeinflusst.»