Friedrich Ebert Stiftung begrüßt Niebels versuchte Gaza-Einreise

"Dem muss man Respekt zollen"

Am Wochenende wollte Dirk Niebel den Gazastreifen besuchen, Israel jedoch verweigerte die Einreise und verwies auf gängige Praxis. Dabei hatte das Sicherheitskabinett vorher angekündigt, die Blockade lockern zu wollen. Gegenüber domradio.de lobt Michael Brüning, Leiter der Friedrich Ebert Stiftung in Ost-Jerusalem, den Willen des Entwicklungshilfeministers - auch mit dem Hinweis auf die "katastrophale Situation" in Gaza.

 (DR)

domradio.de: Wird die Lockerung der Blockade das Leben der Menschen in Gaza erleichtern?
Brüning: Das hoffen nicht nur wir Beobachter, sondern auch die Bewohner des Gazastreifens sehr. Es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist mit Sicherheit noch nicht davon auszugehen, dass die Belagerung des Gazastreifens damit beendet ist.

domradio.de: Was sollte die Blockadepolitik überhaupt bewirken und hat sie tatsächlich zu irgendeinem Erfolg geführt?
Brüning: Das ist die Gretchenfrage. Konsens in Palästina und Israel ist eigentlich, dass die Blockadepolitik kein Ziel erreicht hat. Ziel war ja, den israelischen Soldaten Gilad Shalit der entführt worden war und sich seitdem in Hamas-Gefangenschaft befindet, zu befreien. Dieses Ziel konnte nicht erreicht werden. Ein zweites Ziel war, die Hamas von der Macht in Gaza zu verdrängen. Auch dieses Ziel konnte nicht erreicht werden. Drittes Ziel war, die Popularität der Hamas entscheidend zu reduzieren - und auch das konnte nicht gelingen. Die Hamas sitzt nach wie vor in Gaza sehr fest im Sattel. Diese Bilanz der Blockade, die wirklich negativ ausfallen muss, hat eben nun auch zu einer vorsichtigen Änderung der israelischen Politik geführt.

domradio.de: Wie ist die Lage in Gaza derzeit?
Brüning: Die Friedrich Ebert Stiftung hat ein Büro in Gaza, das heißt wir haben tatsächlich einen Kollegen vor Ort. Wir sind regelmäßig Ort, so dass wir uns selbst ein Bild von der Lage machen können. Und die Situation ist nach wie vor katastrophal: Offizielle Statistiken sind immer mit Vorsicht zu genießen. Aber man geht davon aus, dass 40 Prozent der Bevölkerung arbeitslos sind, 80 Prozent der Bevölkerung sind regelmäßig auf humanitäre Hilfslieferungen angewiesen, können sich also nicht selber versorgen. Die Stromversorgung liegt derzeit bei 12 Stunden am Tag. 93 Prozent des Trinkwassers sind laut einer aktuellen Studie ungenießbar.

domradio.de: Diese Missstände könnten auch ein Grund dafür sein, dass Niebel nicht einreisen durfte am Wochenende. Das sei keine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, sagte Niebel. Heute wollte Niebel mit dem israelischen Außenminister Liebermann darüber reden. Sie haben gestern den Entwicklungsminister auch gesprochen. Wie ist seine Sicht auf diese Aktion seitens Israels?
Brüning: Der Minister hat sich enttäuscht gezeigt, dass er als guter Freund Israels nicht in den Gazastreifen einreisen durfte. Er hat sich sehr offen dazu geäußert und klar gemacht, dass er es nicht verstehen kann, wie Israel es den wenigen verbliebenen Freunden auf der Welt so schwer machen kann. Diese Statements haben in Israel durchaus für Stirnrunzeln gesorgt. Es ist aber auch nicht, dass hier jetzt ein großes Rauschen durch den Blätterwald geht und das Land kopfsteht, weil der deutsche Entwicklungshilfeminister nicht nach Gaza einreisen durfte. Es wurde zur Kenntnis genommen und natürlich hat die israelische Seite mit Unverständnis reagiert. Wir selbst waren im April als Friedrich Ebert Stiftung mit einer Gruppe von SPD-Bundestagsabgeordneten im Gazastreifen. Dort hat die Einreise noch geklappt. Von daher muss man es wirklich begrüßen, dass Dirk Niebel es versucht hat. Da unterscheidet er sich von sehr vielen europäischen Politikern. Dem muss man auf jeden Fall Respekt zollen.

domradio.de: Regierungschef Netanjahu hat nach diesen Entscheidungen im Sicherheitskabinett den Gesandten des Nahost-Quartetts, Tony Blair, unterrichtet. Der hat diese Entscheidung begrüßt. Morgen trifft Toni Blair, auf die Zivilbevölkerung in Gaza. Sie werden selbst auch dabei sein. Was erwarten sie von diesem Treffen?
Brüning: Die Einreise wird mit Sicherheit nicht stattfinden. Das war uns schon vorher klar. Deshalb haben wir das als Friedrich Ebert Stiftung das als Video-Konferenz organisiert. Wir werden morgen Tony Blair mit Gaza vernetzen. Und er wird als Gesandter des Nahost-Quartetts mit Vertretern der Zivilgesellschaft in Gaza sprechen. Er hat intensiv an der Änderung dieser israelischen Politik mitgearbeitet, er war eine der ganz zentralen Figuren, die diese Politikänderung ermöglicht haben. Von daher ist er mit seiner eigenen Leistung erstmal zufrieden - er weiß aber auch, dass das letzte Kapitel dieser Belagerung Gazas noch nicht geschrieben ist. Nach wie vor sind Exporte aus dem Gazastreifen unmöglich. Und Exporte sind natürlich genauso wichtig wie Importe.

domradio.de: In einer Erklärung fordert das israelische Sicherheitskabinett die internationale Gemeinschaft unter anderem auf, sich für die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit einzusetzen. Wie wichtig ist das, um diese Tendenzen der Annäherung nicht zu gefährden?
Brüning: Das Kapitel Shalit ist sehr alt, er ist seit vielen Monaten in Haft. Mit Bewegung rechnet eigentlich niemand. Das ist sicher ein Thema, das im Herbst wieder auf die Agenda kommen wird. Wichtiger ist noch ein anderer Stichtag, der im September noch auf uns zukommt, und das hängt eben auch ganz dezidiert mit Netanjahu zusammen: Am 26. September wird der Siedlungsstopp, den er verhängt hat, ablaufen. Und gestern hat er schon angekündigt, dass nach dem Tag  der israelische Siedlungsbau in der Westbank und in Ostjerusalem ungebremst weitergehen wird. Und da kommt dann schon das nächste große Thema auf uns zu.

Das Gespräch führte Monika Weiß.