Vor 75 Jahren setzte Münsters "Große Prozession" Nazis Grenzen

Eindrucksvolle Demonstration des Glaubens

Tausend Katholiken werden am Sonntag zur traditionellen "Großen Prozession" durch die Altstadt in Münster ziehen. Der Buß- und Bittgang hat eine 627-jährige Geschichte. Großen Zulauf hatte die Prozession in der NS-Zeit, als sie zur Demonstration für den Glauben wurde.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Die Gestapo war im höchsten Maße alarmiert. Das katholische Münsterland sei zum Hauptangriffsgebiet der katholischen Kirche gegen den Nationalsozialismus geworden, fürchtete auch das Propagandaministerium in Berlin. Weil der NS-Staat den Spielraum der Kirche immer weiter einschränkte, entstand unter den Katholiken des Münsterlandes Mitte der 30er Jahre eine Protestbewegung, die für den totalen Herrschaftsanspruch der NSDAP bedrohlich wurde.

18.000 Männer bei der Ludgerus-Feier in Billerbeck 1934, 10.000 Teilnehmer bei der Coesfelder Kreuztracht 1935 und gar fast 30.000 Teilnehmer bei der traditionsreichen "Großen Prozession" vor 75 Jahren, am 8. Juli 1935, in Münster: In der Auseinandersetzung zwischen NS-Staat und Kirche wurden alte Feste und Bräuche zu Demonstrationen kirchlicher Selbstbehauptung.

Dabei war die "Große Prozession" von 1935 ein Zeichen dafür, dass die Partei die Signale endgültig auf Konflikt stellte. Zuvor hatte es in den ersten Monaten nach der Machtergreifung durchaus Zeichen der Gemeinsamkeit gegeben: Kaum hatte die Partei beispielsweise 1933 das lange in Vergessenheit geratene Erntedankfest als politischen Feiertag belebt, rief auch das Bistum Münster zur Mitarbeit und zu festlichen Gottesdiensten auf. Waren vor 1933 NS-Uniformen und Fahnen in Gottesdiensten verboten, so zog bei der Bischofsweihe von Clemens August Graf von Galen am 29. Oktober 1933 eine Formation der SA mit Hakenkreuzbanner in den Dom ein.

"Es war eine Demonstration des Friedens"
Besonders deutlich wurde das Bemühen um Zusammenarbeit aber bei der für Münsters Selbstverständnis so wichtigen "Großen Prozession", die auf ein spätmittelalterliches Pestgelöbnis zurückgeht und auch am kommenden Sonntag wieder durch die Bischofsstadt zieht. 1933 und 1934 marschierten NSDAP-Oberbürgermeister Albert Hillebrand, der Magistrat und 150 SA-Männer mit der Prozession durch Münster. "Es war eine Demonstration des Friedens", hoffte der damalige Münsteraner Weihbischof Johannes Scheifes. Für die NS-Oberen allerdings ging es vor allem um taktische Vorteile: Man könne es sich noch nicht leisten, die Gefühle der Bürger für diese alte Tradition zu verletzten, schrieb der Oberbürgermeister an die Gauleitung.

1935 allerdings war das anders: Die "Große Prozession" fand ohne Oberbürgermeister und Stadtspitze statt. Hintergrund war nicht zuletzt die Auseinandersetzung zwischen Bischof von Galen und dem Chef-Ideologen der Partei, Alfred Rosenberg. Der hatte Anfang 1934 seinen "Mythus des 20. Jahrhunderts" veröffentlicht. Die Antwort von Galens kam in seinem ersten Hirtenbrief zu Ostern 1934: Darin verurteilte er das "neue Heidentum", das die scheinbar "gottgläubigen" Nazis verbreiteten. Der Bischof sprach von einer unheilvollen totalitären Lehre, die die Rasse über die Moral stelle und das Blut über das Gesetz.

Ein neuer Mythos entstand
Als Rosenberg dann am 6. Juli 1935 zum Gautag Westfalen-Nord demonstrativ nach Münster kam, richtete er scharfe Angriffe gegen den Bischof und warf ihm vor, die Katholiken zu Unruhen anzustacheln. Zwei Tage später verwandelte sich die "Große Prozession" in eine riesige Treuekundgebung für den Bischof - ein Ereignis, das sich auch 1936 wiederholte. Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Katholiken und der Polizei und zu demonstrativen Kundgebungen für den Bischof.

Ein neuer Mythos entstand: Von Galen wurde zum religiösen Führer, hinter dem sich das Münsterland sammelte. Als der Bischof sich im Sommer 1941 in drei Predigten öffentlich gegen Euthanasie, Nazi-Terror und Willkür wandte, wagten es die Nazis nicht, den Bischof zu verhaften. Das ganze Rheinland und Westfalen seien für den Krieg abzuschreiben, wenn man aus dem Bischof einen Märtyrer mache, so die Furcht in der Reichskanzlei.

Das noch relativ geschlossene katholische Milieu des Münsterlandes hatte also durchaus die Kraft, sich dem totalen Anspruch der NSDAP teilweise zu widersetzen. Das allerdings kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass daraus nur selten aktiver Widerstand gegen die Verbrechen des Regimes entstand und viele Ziele der Nazis auch mitgetragen wurden.