Vor 400 Jahren starb der italienische Maler Caravaggio

Ungebrochene Faszination

Auch 400 Jahre nach seinem Tod ist die Faszination ungebrochen: In der Nacht auf Sonntag öffnen in Rom Kirchen und die Kunstsammlung Galleria Borghese ihre Pforten für Caravaggio. Das Interesse gilt dabei nicht nur dem einzigartigen Werk, sondern ebenso dem Leben des Malers.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Caravaggio eignet sich für Schlagzeilen - auch 400 Jahre nach seinem Ableben am 18. Juli 1610. Ja, es scheint in manchen Facetten noch aktueller. Denn folgt man der soeben erschienenen beeindruckenden Monografie der Kunsthistorikerin Sybille Ebert-Schifferer, "Caravaggio, Sehen - Staunen - Glauben", so verdankte er einen guten Teil seiner frühen Popularität nicht zuletzt der gezielten Selbstinszenierung.

Diese positive Sicht sollte sich jedoch schon bald nach seinem Tod radikal ändern. Denn Biografen wie Giovanni Pietro Bellori machten ihn zum Archetypen des verruchten Künstlers, der einen exzessiven Lebenswandel pflegt. Ein Mythos, der sich bis in die Gegenwart fortschreibt und wiederum zu seiner heutigen Popularität beiträgt.

Kardinal entdeckt sein Talent
Michelangelo Merisi - so der Taufname - kam am 29. September 1571 in Mailand zur Welt. Die Eltern stammten aus dem nahe gelegenen Städtchen Caravaggio. Mit 13 Jahren begann Caravaggio, wie er später nach seinem Herkunftsort genannt wurde, bei Simone Peterzano eine Ausbildung. Der Durchbruch gelang ihm aber erst in Rom, nachdem der kunstsinnige Kardinal Francesco del Monte über die Gemälde "Die Wahrsagerin" und "Die Falschspieler" auf das Genie aufmerksam wurde und ihn als Mäzen in seine Obhut nahm.

Die neue Bildgestaltung sorgte für Aufsehen und verschaffte Caravaggio kirchliche Aufträge. Die Altartafeln in der Contarelli-Kapelle der Kirche San Luigi dei Francesi zeigen den ganzen neuen Elan. Die "Berufung des Heiligen Matthäus" (1599-1600) offenbart einen drastischen Realismus, der zugleich seine Dramatik aus einer verschärften Helldunkelmalerei der Hochrenaissance bezieht.

Der charakteristische "Tenebrismo" liegt auch über seinem kurzen, aufgewühlten Leben, das mit kaum 38 Jahren ein jähes Ende in Porto Ercole bei Rom fand - möglicherweise durch die Malaria. Der mysteriöse Tod bot dem Mythos zusätzliche Nahrung. Ebert-Schifferer setzt dem in ihrer Monografie eine Entmythologisierung entgegen, die Meresi wieder auf den Boden der Kunstgeschichte holt und damit in seinen eigentlichen Qualitäten und Vielschichtigkeiten freilegt. So interpretiert sie auch die überlieferte Streitlust sowie überzogene Ehrvorstellungen als Anpassung eines Bürgerlichen an den Adelsstand.

Mythos: Künstler auf der Flucht
Dennoch musste Caravaggio 1605 vorübergehend aus Rom nach Genua fliehen, um sich einer Verhaftung wegen Körperverletzung zu entziehen. Im selben Jahr verlässt er die Ewige Stadt endgültig, nachdem er einen Gegner beim Duell tödlich verletzte. Und wieder bekommt der Mythos Flügel: Ein Künstler auf der Flucht, der als Spuren Meisterwerke hinterlässt: in Neapel, auf Malta - wo er Ritter des Malteserordens wird, aber schon nach wenigen Monaten wegen eines Streits wieder ausgeschlossen wird -, in Messina, Palermo, Syrakus, Neapel.

Bis heute stehen sich zwei Deutungstraditionen diametral gegenüber.
Auf der einen Seite wird der Künstler als überzeugter Vertreter der katholischen Reform im Geiste von Carlo Borromeo und Philipp Neri interpretiert, auf der anderen Seite als opponierender Freidenker und Vorkämpfer der neuen Wissenschaften.

Caravaggio vereinfacht hoheitliche Bilderthemen, macht Personen aus dem Volk zu Protagonisten. Hierfür stehen auch die schmutzigen Füße des knienden Paares vor der "Pilgermadonna" in der Cappella Cavalletti. Für jemanden, der sich bei Mariendarstellungen etwa an der Sixtinischen Madonna orientierte, musste dies ein ästhetisches Sakrileg sein. Nicht aber für das Armuts- und Frömmigkeitsideal in der Zeit der Oratorianer und eines Philipp Neri.

Caravaggio holt mit seinen realistischen Darstellungen den christlichen Glauben zurück in den Alltag. Dabei verflacht er die Themen nicht in einen banalen Naturalismus, sondern gibt dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes eine ganz eigene Tiefe. Dieser Einbruch der Transzendenz in die Welt fasziniert offenbar den heutigen Betrachter ebenso wie jenen vor 400 Jahren - bis hinein in die jüngste Novelle Martin Walsers, "Mein Jenseits".