Vor Volksentscheid zu Schulreform scheint von Beust Abschied zu nehmen

Hamburg gespalten - und führungslos?

Die geplante Schulreform in Hamburg spaltet seit Monaten die Stadt. Während der Ausgang des Volksentscheids am Sonntag zur Einführung der sechsjährigen Primarschule ungewiss ist, scheint sich Ole von Beust entschieden zu haben. Der Bürgermeister tritt zurück, berichten verschiedene Medien.

 (DR)

Nur vier Tage nach der Abwahl von NRW-Regierungschef Jürgen Rüttgers im Landtag muss Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Bericht von ARD und "Bild"-Zeitung offenbar den nächsten Abgang eines wichtigen CDU-Landesschefs verkraften. Demnach will Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust am Sonntagnachmittag seinen Rücktritt zum Ende August verkünden.

Mit Ole von Beust würde die Kanzlerin eine wichtige Bastion im Norden verlieren. Um 16 Uhr wolle er auf einer Sondersitzung des Parteivorstands seinen Rücktritt zum 25.8. verkünden. Gleich darauf solle die Partei seinen Nachfolger nominieren: Innensenator Christoph Ahlhaus, 40, so die Zeitung. Beust wolle anscheinend seinen Rücktritt noch vor den Ergebnissen des Volksentscheids bekanntgeben, mit dem eine Bürgerinitiative Hamburgs Bildungsreform kippen will. Am Sonntag stimmen die Hamburger Bürger über die geplante Schulreform in der Hansestadt ab.

Prestigeprojekt des schwarz-grünen Senats
Bei dem Prestigeprojekt des schwarz-grünen Senats sind die Fronten zwischen Befürwortern und Reformgegner verhärtet. Als der Senat die Einführung der Primarschule beschloss, ist Mareile Kirsch aus der CDU ausgetreten. "Ich habe bereits gegen die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre gekämpft, jetzt soll das Gymnasium noch weiter beschnitten werden", sagt die Frau, deren zwei Kinder das humanistische Gymnasium Christianeum im Stadtteil Othmarschen besuchen. Bis Sonntag will Kirsch weiter gegen die Reform kämpfen.??Die Schulreform sieht vor, dass alle Grundschulen in Hamburg zu sechsjährigen Primarschulen umgebaut werden. Dafür sollen die Klassen fünf und sechs aus dem Gymnasium ausgegliedert werden. Erst danach können die Eltern entscheiden, ob sie ihre Kinder auf eine höhere Schule schicken. "Hier wird eine gewachsene Schulkultur mutwillig zerstört", sagt Kirsch, die sich bei der Initiative "Wir wollen lernen" gegen die Primarschule engagiert.

Kirschs Sohn Peregrin kommt nächstes Jahr in die achte Klasse. "Die Umstellung von der Grundschule aufs Gymnasium war am Anfang schon krass, deswegen wurden meine Noten erstmal auch schlechter", erinnert sich der 14-Jährige. Dennoch würde er wieder nach der vierten Klasse wechseln: "Ich glaube, das wäre eher schwieriger geworden, wenn ich älter gewesen wäre."

Ein Großteil des Unterrichtsstoffs der Gymnasien baue auf der fünften und sechsten Klasse auf, sagt Kirsch. So lernt ihr Sohn auf dem Christianeum schon seit der fünften Klasse Latein und seit der siebten Klasse Griechisch. "In sechs Jahren sollen die Gymnasien jetzt leisten, wofür früher neun Jahre Zeit war", sagt Kirsch. Das sei für Schüler wie Lehrer eine Belastung. Lehrer müssten zwischen Schulen pendeln und in Notbehelf-Klassenzimmern unterrichten.

Als Robert Schneider vor der Frage stand, welche Schulform für seine Tochter die beste ist, entschied er sich für die Gesamtschule Winterhude. Trotz einer Empfehlung seiner Tochter Alina Steinborn fürs Gymnasium. Ihn überzeugten die reformpädagogischen Methoden, die nach der Schulreform auch an Primarschulen und Stadtteilschulen zum Einsatz kommen sollen: selbstständiges Lernen, kleine Projektgruppen, kein Frontalunterricht und engagierte Lehrer.

Der EDV-Fachmann Schneider und seine 16-jährige Tochter Alina, die im Herbst in die 11. Klasse kommt, gehören zu den Befürwortern der Reform. "Nach der vierten Klasse zu selektieren, halte ich für viel zu früh", sagt Schneider. Die Lehrer könnten das am allerwenigsten einschätzen. Auch deshalb engagiert er sich bei dem Verein "Pro Schulreform Hamburg" Die Reformgegner täten so, als ginge es um die Alternative "Abi oder Hartz IV". "Ich halte diesen sozialen Druck für grundfalsch", sagt Schneider.

Auch Pädagogen sind gespalten
Der Streit um die Schulreform spaltet nicht nur die Eltern, sondern auch die Pädagogen. Eine Sonderschullehrerin, die ihren Namen nicht nennen will, erzürnt etwa, dass auch die Förderschulen in den neuen Stadtteilschulen aufgehen sollen. Von gemischten Klassen hält sie wenig: "Da erleben Kinder mit Lernschwierigkeiten doch jeden Tag ihr persönliches Waterloo." Schüler hätten unterschiedliche Bedürfnisse und bräuchten unterschiedliches Fachpersonal. Die Lehrerin sagt: "In Zukunft soll ich alle Leistungsstufen fächer- und jahrgangsübergreifend unterrichten. Wie soll das funktionieren?"

Solche Argumente lässt Schülervater Schneider nicht gelten. Er sagt: "Begabte Achtklässler können in der Gesamtschule bereits den Stoff für Zehntklässler durchgehen." Jeder Schüler bestimme sein Lerntempo selbst, schließlich habe kein Kind in jedem Fach dasselbe Niveau. Das jahrgangsübergreifende Lernen wird in Winterhude längst umgesetzt: Die Schüler gehören zu Teams, die aus den Jahrgangsstufen fünf bis sieben oder acht bis zehn gebildet werden.

Einen festen Stundenplan gibt es in Winterhude nicht. "Jeder Schüler verabredet sich mit Freunden und entscheidet, was er lernen möchte", erläutert Alina. Das individuelle Lernpensum trägt jeder in sein Logbuch ein und entscheidet, wann er den Test zum Thema schreiben will. In den Lerngruppen hilft ein Schüler dem anderen. Alina sagt: "Der Stoff wird nicht erklärt, sondern erarbeitet."