Auf den Spuren von Mutter Teresa im Gazastreifen

Von Kalkutta ins Krisengebiet

Wenn in Gaza-Stadt um vier Uhr morgens der Ruf der Muezzine die nächtliche Stille zerschneidet, dann klingelt auch bei Schwester Teresina bald der Wecker. Die Inderin ist Oberin in der kleinen Gemeinschaft von Mutter-Teresa-Schwestern in dem Krisengebiet. Und wie in allen Häusern ihres Ordens beginnt der Tag um fünf mit dem Gebet. Sobald in dem kargen Mehrbettzimmer das Licht angeht, flüchten einige handtellergroße Kakerlaken unter die Schränke. Die Schwestern sind das gewöhnt: "Wir teilen soweit als möglich das Leben der Armen", sagt Schwester Teresina.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
 (DR)

Die zumeist dunkelhäutigen Ordensfrauen mit dem weißblauen Sari und dem strahlenden Lächeln sind in den Straßen rund um die katholische Pfarrei von Gaza ein vertrauter Anblick. Die «Missionarinnen der Nächstenliebe» wirken hier bereits seit 1973, zunächst mit einer mobilen Klinik, Kleiderkammern und Nachhilfeunterricht. Heute betreuen sie ein Heim für behinderte Kinder sowie ein Haus für Seniorinnen; zudem unterstützen sie die Pfarrei in der Seelsorge. Am 26. August steht für die Schwestern ein besonderer Feiertag an: Mutter Teresas 100. Geburtstag.

Die Gründung in dem von Flüchtlingen überfüllten Gazastreifen war dem «Engel der Armen» ein besonderes Anliegen, erzählt Schwester Arodi - damals erste Oberin in Gaza, heute in Bethlehem: «Sie kam anfangs fast jedes Jahr, um nach dem Rechten zu sehen.» Auch Schwester Teresina hat noch lebendige Erinnerungen an die Ordensgründerin aus der Zeit ihrer Ausbildung im Mutterhaus von Kalkutta: «Sie hatte für jeden Besucher ein Lächeln und ein offenes Ohr - obwohl es manchmal Hunderte am Tag waren. Nie wurde sie ungeduldig.»

Porträt immer vor Augen
Das Porträt der berühmten Ordensfrau hängt im Behindertenheim von Gaza an vielen Wänden. Vor einem großen Wandgemälde mit Mutter Teresa und einem Kind auf den Armen bleiben Sabrine und Nael gerne stehen, um einen Kuss darauf zu drücken. Die quirlige Dreijährige und der stille Fünfjährige sind die einzigen Kinder im Haus, die laufen können. Die anderen zehn brauchen wegen ihrer schweren Behinderungen Hilfe: beim Waschen, Essen, Spielen. Viele Stunden am Tag verbringen die Schwestern und zwei einheimische Helferinnen mit Pflege und Unterhaltung.

«Die meisten der Kinder stammen aus Verwandtenehen», erklärt Schwester Teresina. «Ihre Familien sind groß und haben oft nur ein Zimmer. Die Eltern schaffen es nicht, sich um sie zu kümmern.» Das christliche Heim ist die einzige kostenlose Behinderteneinrichtung in Gaza - bis auf das neue Haus der argentinischen Pfarrer nebenan, die drei behinderte Jugendliche aufgenommen haben. Die Ordensfrauen hoffen, dass dort bald mehr Jugendliche Platz finden. Denn ihre Kinder können sie nur bis zum Alter von zehn Jahren behalten. Danach müssen sie in die Familien zurück.
"Wir predigen nicht mit Worten"
Dass alle Kinder im Haus - so wie auch die meisten Frauen im Altersheim - Muslime sind, sehen die Schwestern als Zeichen der Anerkennung in der muslimischen Gesellschaft. «Wir predigen nicht mit Worten, wir verkündigen durch unser Leben die Botschaft von der Liebe Gottes», sagt Schwester Teresina.

Das ist nicht immer ohne Schwierigkeiten - nicht nur wegen der ständigen Spannungen in dem Krisengebiet, sondern auch aus ganz alltäglichen Gründen. «Unser Leben ist nicht immer leicht; es gibt praktisch keine Privatsphäre», gesteht Schwester Teresina. Wer sich jedoch ganz auf die Grundprinzipien «liebevolles Vertrauen, völlige Hingabe und Heiterkeit» einlasse, der werde innerlich frei. «Und dann ist auch das Leben in Gaza himmlisch.»