Ruanda wehrt sich gegen Völkermordvorwürfe in einem UN-Report

Streit um einen unveröffentlichten Bericht

Ein UN-Bericht sorgt für Wirbel, bevor er überhaupt veröffentlicht ist. Ruanda läuft Sturm gegen den Report, denn er hat es in sich. Auf über 500 Seiten dokumentieren die Autoren schwere Menschenrechtsverletzungen im Kongo von 1993 bis 2003.

Autor/in:
Natalia Matter
 (DR)

Aufgelistet sind mehr als 600 Gewalttaten, durch die Zehntausende Menschen getötet wurden. Die meisten waren Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder.  Ein großer Teil der 1996/97 begangenen Morde, Vergewaltigungen und Verstümmelungen wird in dem Berichtsentwurf ruandischen Soldaten und den mit ihnen verbündeten kongolesischen Rebellen zugeschrieben. Die Gräueltaten könnten als Völkermord eingestuft werden, heißt es in der Untersuchung, die am Freitag vergangener Woche einer französischen Zeitung zugespielt wurde und dem epd vorliegt.   



Demnach verübten ruandische Kämpfer des Tutsi-Volkes systematisch Angriffe auf Angehörige der Hutu-Bevölkerung. Wurden die Opfer von 1994 zu Tätern? Im Frühjahr 1994 hatten Hutu-Extremisten in Ruanda einen Völkermord verübt - rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu wurden abgeschlachtet.  



Ruanda streitet ab

Doch Ruanda streitet die Vorwürfe des UN-Berichts ab und droht, bei Veröffentlichung ruandische Soldaten von der UN-Friedensmission in Sudans Krisenregion Darfur abzuziehen. In einer offiziellen Stellungnahme hieß es, der Bericht sei "böswillig, beleidigend und lächerlich". Ruandas Justizminister, Tharcisse Karugarama, sagte er dem britischen Sender BBC, jeder der behaupte, die ruandische Armee könne etwas ähnliches wie einen Genozid verübt haben, werde in Ruanda als verrückt bezeichnet.  Die Vereinten Nationen reagierten am Donnerstag und setzten den Veröffentlichungstermin auf den 1. Oktober. "Auf Nachfrage haben wir entschieden, den beteiligten Ländern einen weiteren Monat einzuräumen, um den Entwurf zu kommentieren", teilte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, unter deren Verantwortung der Bericht fällt, mit.



Kommentare könnten dann mit dem Dokument veröffentlicht werden.  Doch ob die ruandische Regierung sich davon beschwichtigen lassen wird, ist fraglich. "Unsere Truppen wurden informiert und sind bereit zum Rückzug", sagte Ruandas Botschafterin in Deutschland, Christine Nkulikiyinka. Ruanda stellt über 3.200 der insgesamt 22.000 Soldaten und Polizisten der gemeinsamen Mission von UN und Afrikanischer Union in Darfur.   



Bericht stellt Legitimität der Regierung in Frage

Die Zentralafrika-Expertin Ilona Auer-Frege glaubt, dass Ruanda seine Drohung wahrmachen könnte. "Für Ruanda ist der Bericht eine extreme Bedrohung, er stellt die Legitimität der Regierung in Frage", sagte die Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika.   Paul Kagame, Ruandas Präsident seit 2000 und früherer Anführer der Tutsi-Rebellen-Armee FPR, habe viel für sein Image getan. "Sein Selbstverständnis ist, er ist der Retter, er hat den Genozid in Ruanda beendet und sich für Versöhnung eingesetzt." Doch für Darfur seien die Auswirkungen eines ruandischen Abzugs nicht gravierend. Die UN müssten ein anderes Land finden, das Soldaten zur Verfügung stelle.  



Der Inhalt des UN-Entwurfs trifft nach Auer-Frege zu. Die meisten aufgelisteten Verbrechen seien aus verschiedenen Dokumenten bereits bekannt. "Aber es ist das erste Mal, dass die Verbrechen systematisch erfasst und offiziell von den UN veröffentlicht werden, eine schärfere Form der Kritik kann es kaum geben." Deshalb versuche Ruandas Regierung mit allen Mitteln, den Bericht zu diskreditieren.   



Auch andere Regierungen sind betroffen

Ein Sprecher der ruandischen Regierung erklärte, es sei unmoralisch und inakzeptabel, dass die UN, die durch ihr Versagen während des Völkermords in Ruanda und der nachfolgenden Flüchtlingskrise unsägliches Leid verursacht hätten, nun die ruandische Armee für Gräueltaten im Kongo verantwortlich machten. Der Bericht sei ein gefährliches und unverantwortliches Dokument, da es zu neuer Instabilität in der Region führe.  



Tatsächlich werden in dem Bericht neben ruandischen Kämpfern auch Soldaten und Rebellen aus anderen Ländern wie dem Kongo, Burundi, Uganda und Simbabwe für Gräueltaten verantwortlich gemacht. "Der Bericht ist genauso brisant für die kongolesische Regierung, er trifft viele Regierungen in der Region", sagt Auer-Frege. Sollte die internationale Gemeinschaft Konsequenzen daraus ziehen, habe dies Folgen für viele Länder. Doch Kagame spielt seit Jahrzehnten eine dominierende Rolle in der Region der Großen Seen. "Er ist einer der wenigen Staatsmänner, der für die damaligen Ereignisse zur Verantwortung gezogen werden könnte."