domradio.de: Wie beurteilen Sie das, was in Straßburg gerade geurteilt wurde?
Wolfgang Rüfner: Ich bin eigentlich erstaunt, ich hatte erwartet, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die besonderen verfassungsrechtlichen Bedingungen der Kirche in Deutschland achten würde und deshalb der Beschwerde nicht stattgeben würde.
domradio.de: Nach kirchlichem Arbeitsrecht ist der Fall nämlich eindeutig, nicht wahr?
Rüfner: Nach kirchlichem Arbeitsrecht ist es ein Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten und zwar ein sehr erheblicher Verstoß. Der kirchliche Arbeitnehmer soll sein Leben nach den Anforderungen des katholischen Glauben einrichten.
domradio.de: Nun schützt ja Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht auf Privatleben. Aber Kirche geht dort durchaus hinein.
Rüfner: Das ist immer das Problem gewesen: Die Kirche verlangt Loyalität auch im Privatleben ihrer Mitarbeiter. Das hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in diesem Fall anscheinend wohl nicht akzeptiert. Wobei man im Einzelnen die Begründung noch abwarten muss. Es ist natürlich auch die Frage gewesen: Wie nahe ist ein Kirchenmusiker am Verkündigungsauftrag der Kirche? Möglicherweise haben die darauf abgestellt und das nicht so gesehen wie die deutschen Gerichte.
domradio.de: Es gibt also durchaus einen Unterschied, z.B. ob jemand bei der katholischen Kirche als Pförtner oder als Pfarrer beschäftigt ist?
Rüfner: Jawohl! Als Pfarrer, das steht ja außer Frage und gehört nicht zum Arbeitsrecht. Die Kirche verlangt die Loyalitätsobliegenheiten von allen, aber sie differenziert doch bei der Kündigung danach, in welcher Position jemand ist - nach der Grundordnung für den Kirchendienst.
domradio.de: Können Sie denn schon eine Prognose wagen, was dieses Urteil nun für die katholische Kirche bedeuten wird?
Rüfner: Es kann sein, dass es ein erheblicher Eingriff in die bisher bestehenden arbeitsrechtlichen Verhältnisse ist, aber dafür muss man die Begründung des Urteils im Einzelnen noch nachprüfen.
domradio.de: Das Urteil hat nicht nur für die katholische Kirche Konsequenzen, richtig?
Rüfner: Nicht nur, aber die katholische Kirche war in diesen Anforderungen immer verhältnismäßig scharf, so dass man sagen kann: Es trifft vielleicht nicht alle Kirchen in gleicher Weise, aber es ist wahrscheinlich ein erheblicher Einschnitt für die katholische Kirche.
Kirchenrechtler Rüfner zum Straßburger Urteil
"Erheblicher Eingriff"
Die katholische Kirche darf einem Angestellten nicht zwangsläufig kündigen, wenn er ein außereheliches Verhältnis hat. Das entschied heute der Europäische Menschenrechtsgerichtshof. Eine erste Bewertung gibt im domradio.de-Interview Staatskirchenrechtler Prof. Wolfgang Rüfner.
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