Die beispiellose Karriere des brasilianischen Präsidenten Lula

Aus der Lehmhütte in den Palast

Die mit Pfützen überzogene Straße aus Lehm scheint mitten ins Nirgendwo zu führen. Ab und zu kreuzen Esel und Ziegen den Weg. Zwischen notdürftig zusammengeflickten Häuschen steht die Hütte, in der Luiz Inacio Lula da Silva vor 64 Jahren geboren wurde. Von hier brach er als kleiner Junge zu Fuß ins nächstgelegene Städtchen Caetes auf, anschließend in die Metropole Sao Paulo, wo aus dem Semi-Analphabeten, wie er sich heute noch bezeichnet, Brasiliens erster Arbeiter-Präsident wurde. Am 31. Dezember endet nun seine achtjährige Amtszeit.

Autor/in:
Thomas Milz
 (DR)

In Sao Paulo stieg Lula vom einfachen Metallarbeiter zum Gewerkschaftsführer auf. Seine große Stunde schlug Ende der 70er Jahre, als er die ersten großen Streikbewegungen in Sao Paulo leitete. Die Arbeiter liebten Lulas klare Worte, seine messerscharfen und doch simplen Analysen in Zeiten politischer Unterdrückung. Anfang der 80er Jahre gründete Lula die Arbeiterpartei PT. 1989 scheiterte er erstmals als Präsidentschaftskandidat, ebenso 1994 und 1998. Doch entmutigen ließ sich Lula nicht. In jenen Jahren bereiste er das weite Hinterland Brasiliens. Kein anderer Politiker hat wohl je sein Land und die Probleme seiner Bewohner besser gekannt als er.



Der bodenständige Junge von damals

Lula verstehe die armen Menschen besonders gut, weil er selbst einmal arm gewesen sei, sagen die Menschen in Caetes. Seine Geburtshütte ist gerade drei mal fünf Meter groß, mit einem einzigen Raum darin. Dort lebte Lula mit seinen sieben Geschwistern. Ein paar Male sei er in den vergangenen Jahren hier vorbeigekommen, berichtet sein Vetter Antonio Ferreira de Melo. Verändert habe er sich nicht, er sei noch immer der bodenständige Junge von damals.



Verändert hat sich jedoch die Realität der Menschen in Caetes. Die von seinem Amtsvorgänger initiierten Sozialprogramme baute Lula massiv aus, erhöhte die Mindestlöhne weit über die Inflationsrate und gab den Wenigverdienern damit nie gekannte Kaufkraft. In Caetes erhalten die meisten Einwohner Gelder aus dem Programm "Bolsa Familia", eine Art Stütze für die Ärmsten. Nur Lulas Vetter Antonio nicht. Als Verwandter des Präsidenten habe er sich geschämt, sich in das Programm einzuschreiben, erzählt er.



Strukturelle Ungerechtigkeit bleibt

Lula sehe sich als Retter, als "Erlöser des Vaterlandes", sagt der Soziologe Demetrio Magnoli, einst ein Weggefährte Lulas, heute einer seiner schärfsten Kritiker. Durch die Sozialprogramme habe er zwar den Ärmsten aus der größten Not geholfen, doch an den strukturellen Ungerechtigkeiten habe er nicht gerüttelt. Ganz im Gegenteil, verdienten doch gerade die Banken und Großkonzerne unter Lula so gut wie nie zuvor. Für Lula selbst gehört der Wirtschaftsboom zu seiner Erfolgsbilanz. Neidisch seien die Eliten in der Finanzmetropole Sao Paulo, der Hochburg der Opposition, auf seine Erfolge, meint er.



Zu Lulas größten Stärken zählt, so meinen Beobachter, dass er der Masse in einfachen Worten die Komplexität der modernen Welt erklären und gleichzeitig mit den Staatsmännern der Welt auf Augenhöhe verhandeln könne. Bauernschläue könnte man es nennen - die jedenfalls dazu geführt hat, dass die internationale Presse ihn mehrfach zum einflussreichsten Staatsmann der Welt wählte. "Diese Verführung durch die Figur Lula findet viel mehr außerhalb Brasiliens statt als in Brasilien selbst", meint dagegen Magnoli.



Märchenfigur Lula hat erste Risse

Daheim unterstützten ihn die Menschen, weil sie durch ihn mehr Geld in der Tasche hätten - und nicht aufgrund seiner legendären Aufstiegsgeschichte.



Doch mittlerweile zeichnen sich auch an der Märchenfigur Lula erste Risse ab, meint Magnoli. Da ist nicht nur der massive Parteiskandal vor einigen Jahren. Während sich Lula weltweit als Sprecher der Unterdrückten zu profilieren suche, unterstütze er auch offen Dikatoren wie Fidel Castro oder Mahmud Ahmadinedschad. Und allein seinem überzogenen Ego sei es zu verdanken, dass Brasilien demnächst die Fußball-WM und die Olympischen Spiele austragen werde: kostspielige Prestigeprojekte für ein immer noch unterentwickeltes Land. Lula kann wohl mit dieser Kritik leben - tritt er doch Ende Dezember mit nie gekannten Beliebtheitswerten jenseits der 80-Prozent-Marke aus dem Amt ab.