Castanhinho ist ein "Quilombo": eine Siedlung von Nachfahren entlaufener Sklaven an der Peripherie von Garanhuns, einer aufstrebenden Stadt im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco. Unweit von hier, im Nachbarort Caetes, wurde einst Luiz Inacio da Silva geboren; deshalb bezeichnen sich die Bürger von Garanhuns gerne als Bürger der Präsidentengeburtsstadt. 170 Familien leben in Castanhinho, gut 1.000 Menschen, die wie vor Jahrhunderten vom Anbau von Maniok, Bohnen und Mais leben. Laut Verfassung von 1988 stehen den Quilombolas, den Bewohnern der Quilombos, die Besitztitel über ihr angestammtes Siedlungsland zu. Doch auch nach mehr als 20 Jahren warten sie immer noch darauf, dass ihnen die zuständige Behörde das Land zuweist.
Die Agrarreformbehörde INCRA sei nicht geschaffen worden, um die Landreform durchzuführen, sondern "um uns allen das Leben schwer zu machen", klagt Jose Carlos da Silva, Sprecher des Quilombo. Es geht um 198 Hektar Land, das die Quilombolas im Kollektiv bewirtschaften. Dem Kollektiv soll das Land zugesprochen bekommen, nicht den einzelnen Familien, betont da Silva. Damit wolle man verhindern, dass Familien ihr Land verkauften und so zurück in die Armut fielen.
Land bedeutet Unabhängigkeit
Land bedeutet für die Quilombolas Unabhängigkeit - auch vom Staat und seinen Sozialprogrammen. 80 Prozent der Bewohner erhalten "Bolsa Familia", das staatliche Unterstützungsgeld. Dafür müssen die Familien sicherstellen, dass die Kinder in die Schule gehen - sonst wird die Beihilfe gestrichen. Das Land sei wichtiger als die Sozialprogramme, erklärt da Silva. "Mit ihm können wir irgendwann mal an den Punkt kommen, die staatliche Unterstützung nicht mehr zu brauchen."
Die Mehrheit der Landbevölkerung begrüßt die Sozialpolitik der Regierung, weiß Padre Juvenal, ein katholischer Geistlicher, der seit mehr als 30 Jahren an der Peripherie von Garanhuns lebt.
Schul- und Gesundheitssystem mangelhaft
Allerdings könne man diese Art von Assistenzpolitik nicht über lange Zeit durchführen, da sie anstelle von strukturellen Veränderungen Abhängigkeiten schaffe. Zwar zwingen Programme wie "Bolsa Familia" die Familien dazu, ihre Kinder in die Schulen zu schicken. Doch deren Niveau sei ähnlich prekär wie der Zustand des lokalen Gesundheitssystems.
"Die Hilfen für die Banken während der Finanzkrise waren größer als die Hilfen für das Gesundheitswesen und die Bildung", klagt der Padre. Es nütze nichts, wenn alle Kinder in die Schule gingen und dort dann nichts lernten, kritisiert auch der Politikwissenschaftler Bolivar Lamounier. Es sei ja schon schwierig für die, die eine Ausbildung haben, einen Arbeitsplatz zu finden. "Für die, die keine Ausbildung haben, ist es fürchterlich."
"Ein reiches Land voll von Armen"
Für die Bewohner von Castanhinho ist der Besitztitel für ihr Land überlebenswichtig. Immer näher rücken die Neubausiedlungen der Stadt. Ohne den Titel fürchten sie, ihre Äcker an den boomenden Immobilienmarkt zu verlieren. "Brasilien ist das Land mit den größten Kontrasten zwischen den riesigen Latifundien und den kleinen Landbesitzern", betont Padre Juvenal. Eine Landreform müsse dringend her, um den Besitz der Großen zu beschränken und den der Kleinen zu garantieren. Dann könnte die Zukunft vielversprechend aussehen.
"Das hier ist ein reiches Land, aber voll von armen Menschen. Die Konzentration bei den Einkommen, beim Landbesitz und der politischen Macht ist immer noch sehr hoch." Und daran konnten trotz mancher Fortschritte auch acht Jahre Lula wenig ändern.
Acht Jahre Regierung Lula - eine Sozialbilanz
Das ewige Warten auf Land
Wenn Brasiliens Staatspräsident Luiz Inacio "Lula" da Silva am 1. Januar sein Amt abgibt, kann er zufrieden auf seine achtjährige Amtszeit blicken. Mehr als 30 Millionen Brasilianer haben unter seiner Regierung den Weg aus der Armut in die untere Mittelschicht gefunden. Doch selbst massive Sozialprogramme konnten nichts daran ändern, dass Brasilien in Sachen Bildung und Gesundheitswesen noch immer prekäre Zustände aufweist. Und immer noch wartet die Landbevölkerung auf eine umfassende Agrarreform.
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