Das Ausmaß der Überschwemmungen in Nigeria bleibt unbekannt

Das Rätsel um die Flut

Mal ist von zwei Millionen Betroffenen die Rede, dann wieder nur von 100.000 Menschen, die in den vergangenen Wochen im Norden Nigerias ihr Hab und Gut verloren haben. Ursache dafür ist eine Flut, die Rätsel aufgibt und bei internationalen Hilfsorganisationen Zurückhaltung auslöst.

 (DR)

Wer in Nigerias Hauptstadt Abuja derzeit nach den Überschwemmungen in den Bundesstaaten Jigawa, Kebbi und Sokoto im Norden des Landes fragt, bekommt anstelle einer Antwort meistens nur ein Schulterzucken. Gehört haben zwar die meisten davon, doch die Informationen sind vage und unzuverlässig. "Es ist alles sehr widersprüchlich", sagt auch Achim Brick, der seit fünf Monaten für das Bischöfliche Hilfswerk Misereor im einwohnerstärksten Land Afrikas arbeitet.



Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ist nach eigenen Angaben bereits seit drei Wochen im Bundesstaat Sokoto. Dort wurden die ersten Dörfer dort weggespült und etwa 100.000 Menschen verloren ihre Lehmhütten. Ausgerechnet die traditionelle Bauweise in vielen westafrikanischen Ländern ist besonders anfällig bei Regenfällen. Die kleinen Hütten können den immensen Wassermassen kaum standhalten.



In den Medien ganz andere Themen

Doch von Katastrophenstimmung ist in weiten Teilen des übrigen Landes nichts zu spüren. In den nigerianischen Medien sind derzeit andere Themen präsent: Nigeria soll auf die Unabhängigkeit eingestimmt werden, die am Freitag gefeiert wird. Noch intensiver diskutieren die Zeitungen, Fernsehsender und Hörfunkstationen seit Monaten die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Es vergeht kaum ein Tag, an dem es das Thema Wahl nicht auf die Titel schafft.

Immerhin bewegt seit Dienstag die rund 150 Millionen Nigerianer noch ein drittes Thema: Im Südosten des Landes sind 15 Schulkinder entführt worden.



Doch über die Flut sind kaum Informationen zu finden. Präsident Goodluck Jonathan, überwiegend mit Wahlkampfstrategien zu seiner Wiederwahl beschäftigt, hat den Staaten Sokoto und Kebbi finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau versprochen, berichtet die Tageszeitung "Daily Trust" in ihrer Mittwochsausgabe. Außerdem soll eine Studie finanziert werden, die ermitteln soll, wie die betroffenen Gebiete entlang des Sokoto Flusses künftig besser geschützt werden können.



Von Hand gemachte Katastrophe

Denn anders als bei den Überschwemmungen in Nachbarland Niger, wo vor gut vier Wochen nach Informationen der Vereinten Nationen etwa 20.000 Menschen ihr Zuhause verloren, sind in Nigeria längst nicht nur die starken Regenfälle für die Katastrophe verantwortlich. Bereits im August waren im benachbarten Bundesstaat Kano Dämme geöffnet worden, um dort eine Überflutung zu verhindern. Eine Maßnahme, die eigentlich jedes Jahr durchgeführt wird. Doch diesmal staute sich zu viel Wasser an, die nun dem Nachbarstaat zum Verhängnis wurde.



Haben also Fehlplanung und menschliches Versagen zur Flut geführt? Davon geht zumindest der Vertreter einer internationalen Nichtregierungsorganisation aus, der anonym bleiben möchte. "Ich bin schon angefragt worden, wie schlimm die Lage sei. Aber ich habe empfohlen, dass wir uns nicht engagieren", sagt er und appelliert an die Verantwortung von Nigerias politischer Führung. Es würde immer vergessen, dass das Land potenziell wohlhabend sei. Schließlich exportiere es Öl und sei zumindest theoretisch in der Lage, sich um das Schicksal seiner Einwohner zu kümmern.



Zurückhaltend ist auch Caritas International mit Sitz in Freiburg. "Eine Entsendung von Mitarbeitern oder eine von uns aus koordinierte Nahrungsmittellieferungen wird es nicht geben", sagt Länderexperte Sebastian Sunderhaus. Obwohl Nigeria nicht zu den 28 Schwerpunktländern der Organisation gehört, bestätigt auch er, dass die Lage noch immer unübersichtlich sei.